J. E. Austen-Leigh: A Memoir of Jane Austen

Nahen Verwandten von verstorbenen, als Schriftsteller bekannt gewordenen Onkeln, Schwestern und Tanten sollte es verboten werden, deren Biografien zu verfassen. Noch viel mehr sollte man allerdings unmittelbar nach dem Ableben eines Literaten / einer Literatin den gesamten Briefwechsel des oder der Verstorbenen konfiszieren und in eine Institution bringen dürfen, die diese Briefe wissenschaftlich auszuwerten im Stande ist. Der Fall Jane Austen ist ein Paradebeispiel dessen, was nicht hätte geschehen dürfen. Die Briefe blieben jahrzehntelang im Besitz der Nachfahren; erste Editionen wurden dann auch von ihnen veranstaltet. Das Hauptinteresse der Nachfahren war es allerdings, dass weder Jane Austen noch andere Personen innerhalb oder ausserhalb der Familie in irgendeiner Weise sich verletzt fühlen könnten, und dass Jane Austen als eine Art Heilige der Literaturgeschichte dargestellt werden konnte: Intelligent und witzig, aber kein Blaustrumpf und keine beissende Ironikerin (von Satire ganz zu schweigen), in allen fraulichen Belangen wie Hausarbeiten und Mode interessiert, aber keineswegs frustriert oder unglücklich – z.B., weil sie das primäre Ziel weiblicher Existenz jener Zeit, Heirat und Fortpflanzung, verfehlt hatte. Um ihr Interesse durchzusetzen, schreckten die Nachfahren nicht davor zurück, die Briefe einer Zensur zu unterwerfen. Leider aber nicht nur im Druck: Sie vergriffen sich auch an den Originalen, wo sie missliebige Stellen sogar nicht einfach nur einschwärzten und so unleserlich machten – das kann man ja in vielen Fällen mit moderner Technik wieder rückgänging machen, was die Familie geahnt haben muss: Sie schnitten diese Passagen mit der Schere aus, und so sind sie unwiederbringlich verloren.

Eine Hagiographie stellt auch James Edward Austen-Leighs Memoir dar. Jane Austen ist darin die immer nette, freundliche und lustige Tante, die sich bei jedem Besuch intensivst um die angekommenen Kinder, Nichten und Neffen, kümmerte. Literarische Beziehungen und Ambitionen hatte sie offenbar keine, obwohl sie jeden Tag im Wohnzimmer sass und schrieb. Je nun – als Jane Austen starb, war James Edward gerade mal 20 Jahre alt. Ich will ihm sogar glauben, dass er kaum andere als Erinnerungen an eine freundliche und liebe Tante hatte. Um so mehr, als von Jane Austens Tod bis zum Zeitpunkt, als James Edward seine Erinnerungen niederschrieb, nochmals 50 Jahre vergingen, und der alte Herr seither sicher vieles vergessen hatte. Er scheint mir vom Wesen her einer gewesen zu sein, der Unangenehmes gern vergass. Im Übrigen stützt sich James Edward auch auf Erinnerungen anderer Verwandter und zitiert Briefe von und an Jane (oft ungenau, oft Passagen auslassend, die ihm unwichtig erschienen oder die er nicht verstand, die aber u.U. den Sinn der nachfolgenden Sätze änderten).

Dass er sich der Sonderstellung, die er seiner Tante geben will, bewusst war, merkt man dann, wenn er sich an Charlotte Brontë und / oder deren Biografin Elizabeth Gaskell reibt. Die dunkle und unglückliche Charlotte und die Lichtgestalt Jane – bis heute hat Austen-Leighs Text die Rezeption der beiden Autorinnen beeinflusst. Dass er seine Tante dadurch auch den Status einer ernst zu nehmenden Autorin streitig machte, sie zu einer Autorin seichter Liebesschmonzetten mit nur sympathischem Personal degradierte, scheint ihn nicht gestört zu haben. Im Gegenteil, den Stock-Viktorianer muss eine Autorin wie die Brontë (und ihre Schwestern) mehr gestört haben. In sein konservatives viktorianisches Weltbild passte eine sanfte Jane besser.

Interessant wird Austen-Leighs Biografie dort, wo er die Unterschiede von seiner eigenen Epoche zu der, in der seine Tante lebte, skizziert. Zwar bleibt er an der Oberfläche kleben, z.B., wenn er die seither erfolgte Einführung von Elektrizität oder Gasbeleuchtung, die Verbesserung der Wege über Land und ähnliches anführt, aber auch die Neuordnung der Essenszeiten findet Erwähnung (zu Janes Zeit war auf dem Lande das Abendessen noch so gelegt, dass die Familie keine Kerzenleuchter auf dem Tisch brauchte, weil man ass, so lange es draussen noch hell war). Diese ‚Übersetzung‘ vom 19. ins 18. Jahrhundert ist manchmal sehr erleuchtend, auch wenn der Leser heute natürlich die vom 21. ins 19. Jahrhundert selber nachliefern muss.

Alles in allem im Grunde genommen nur als Anleitung dienlich, wie man eine Biografie nicht gestalten soll. Da J. E. Austen-Leighs Memoir aber seit dem ersten Erscheinen im Jahre 1870 selber zum Klassiker geworden ist, zumindest für den Jane-Austen-Aficionado unumgänglich.

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