William Allingham: Die Tagebücher

Ob er nicht Carlyles Boswell sein wolle, wurde William Allingham eines Tages von Freunden gefragt. Allingham war geschmeichelt und wollte die Möglichkeit nicht ausschliessen. Er ist es dann nicht geworden. Und das hat seine Gründe.

Wann immer der Name “James Boswell” fällt, wird im deutschen Sprachraum der von Johann Peter Eckermann erklärend nachgereicht. Beide Haus-, Hof- und Leibbiografen ihrer Idole. Hie Goethe, dort Samuel Johnson. Dabei sind die Unterschiede zwischen diesen beiden archetypischen Biografen riesig. Eckermann war ideell wie materiell komplett von Goethe abhängig, Boswell machte auch ausserhalb und ohne sein Leben mit Johnson durchaus Figur in seiner Zeit. In der Erinnerung der Leute überlebt haben allerdings beide nur dank ihrer Idole.

Nochmals anders steht es um William Allingham. Geboren 1824 in Irland, als Sohn eines englischstämmigen Kaufmanns, migrierte er zurück nach England, wo er ab 1870 als freier Schriftsteller bzw. Herausgeber literarischer Zeitschriften lebte. Allingham war vor allem Lyriker – kein Coleridge oder Tennyson, aber seine Gedichte sind durchaus akzeptabel und finden sich zum Teil auch heute noch im Volksmund. Er war mit Thomas Carlyle befreundet und mit Alfred, Lord Tennyson. Freundschaften unter Schriftstellerkollegen – keine Abhängigkeit wie bei Eckermann, keine (im Grunde genommen komplette) Fremdheit gegenüber dem literarischen Schaffen wie bei Boswell. Überhaupt verkehrte Allingham auf durchaus gleichgestelltem Fuss mit allem, was im Literaturleben des viktorianischen England Rang und Namen hatte: Thackeray, Robert Browning, George Eliot … Er hat Turgenev bei dessen Englandbesuch in Carlyles Wohnung angetroffen. Er trifft Charles Darwin, erwartet ihn am 12. August 1868 bei sich zum Essen. Darwin bleibt unentschuldigt fern (er ist krank und nützt die Privilegien des Kranken voll aus, meint Allingham dazu) und heisst von da an im Freundeskreis “The missing link”.

Allingham trug sich wohl nie ernsthaft mit dem Gedanken, Hofbiograf Carlyles zu werden. Wenn er fleissig Tagebuch führte, so war das für sich selber. Und wenn er seine Tagebücher mal wieder monatelang vernachlässigt hatte, so machte er auch nur sich selber Vorwürfe. Allingham hat einen Anlauf zu einer Autobiografie unternommen, ist aber nicht über seine Kindheit hinausgekommen. Diese Autobiografie ist in meiner Ausgabe den Tagebüchern vorangestellt. Allingham ist ein guter Beobachter, seine skizzierten Gespräche sind informativ und interessant. Er ist kein bösartiger oder zynischer Autor, auch nicht im Tagebuch. Wenn er festhält, dass Carlyle zugibt, keine Ahnung von Poetik zu haben, dann notiert er dies verwundert, aber als Tatsache, die er selber auch schon festgestellt hat. Und so sammelt er die eine oder andere Anekdote aus seinem Kreis.

Allingham starb 1889. Seine Tagebücher wurden 1907 von seiner Witwe herausgegeben. Wieweit die Witwe schönte, kürzte oder andersweitig Zensur ausübte, kann ich nicht nachvollziehen. Auf Deutsch scheinen die Tagebücher nie übersetzt worden zu sein. Ich habe sie in der Ausgabe der Folio Society, London 2007, gelesen, die der von 1907 mit wenigen Ausnahmen (Fussnoten, die heute irrelevant sind) folgt.

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