Peter Richter: 89/90

Hätte nicht Dostoevskij einiges aus diesem Buch zitiert, so wäre der Roman wohl niemals in mein Blickfeld gelangt. Und das wäre eigentlich schade. Denn wenn er sich anfangs auch ein bisschen wie die verklärten Jugenderinnerungen des etablierten 40jährigen liest, so war das dann doch interessanter – und amüsanter – als erwartet.

Es ist ein offenkundig autobiographischer Roman, der die zwei Jahre aus dem Buchtitel aus der Sicht eines 16 bzw. 17jährigen beschreibt. Inwieweit diese Schilderungen der damaligen Realität entsprechen vermag ich nicht wirklich zu beurteilen (ehrlich gesagt hätte ich endemisch auftretende Jung-Nazi-Horden in diesem Ausmaß nicht vermutet), als Österreicher hatte man mit der „Wende“ nur am Rande (nämlich am östlichen) zu tun, mit Menschen, die den Dialekt ihres mickrigen Staatsratsvorsitzenden sprachen, ansonsten wie Jens Weißflog aussahen und über Ungarn und Österreich angeblich in die BRD zum Bananenkaufen wollten. Aber da ich keinen Grund habe, Richter in Bezug auf seine Glaubwürdigkeit zu misstrauen, nehme ich die geschilderte rechte Szene (nebst den linken Zecken) einfach so wie beschrieben zur Kenntnis.

Und das ist dann eine doch ganz andere Geschichte wie die medial vermittelte vom zweigeteilten DDR-Volk in aufrechte, aber unterdrückte Bürger und Stasi-Mitarbeiter. Denn es scheint dort eine rechte Szene gegeben zu haben, von der man bestenfalls am Rande erfuhr und die gerade während der Wiedervereinigungseuphorie in den (österreichischen) Medien nicht die geringste Rolle gespielt hat. Hier bewunderte man viel mehr diese „sanfte“ Revolution, man hatte auch keine Angst vor einem übermächtigen, großen Bruder, sondern entdeckte besten- oder schlimmstenfalls pangermanische Sympathien, die aber dann doch eher eine Randerscheinung blieben. (Österreich hatte und hat seine eigenen Rechten, nicht mit Glatzen oder Bomberjacken, sondern bekennende Biertischnazis wie sie sich wohl auch in der CSU zuhauf finden.)

Aber neben dieser – für mich in diesem Ausmaß unbekannten – politischen Aufspaltung der Jugend in rechts und links liest sich das auch sehr amüsant und erzählt mit viel Witz vom Erwachsenwerden. Von Verliebtheiten, Unsicherheiten, pubertären Pseudoklugheiten, es gibt ganz wunderbare Charaktere (wie jenen der „Künstlerin“, bei der „jede Kommunikationsform unterhalb der Telepathie einem praktisch plump und ungeistig vorkam“, die nicht auf ihrem Stuhl saß, „sondern kniete, hockte, kauerte in abenteuerlichen Positionen wie ein Fakir, dem eine Wiedergeburt als niedrigstes Wesen prophezeiht ist für den Fall, dass er auch nur eine Minute so langweilig auf dem Hintern sitzt, wie wir Sterblichen das tun“).* Dazu die zahlreichen Freunde, die mit wenigen Strichen, aber höchst gelungen und einprägsam gezeichnet werden, komisch-tragische Situationen und die berührend-jugendliche Hilflosigkeit in emotionaler, aber auch in politischer Hinsicht, die authentisch, zutiefst erlebt wirkt. Ich habe mich jedenfalls ganz ausgezeichnet unterhalten mit diesem Buch, das sehr klug und geistreich eine alternative Darstellung der Wende liefert.


*) Vielleicht eine Reinkarnation: Denn ich glaube mit genau diesem Wesen einige Zeit in meiner Jugend verbracht zu haben, auch alle weiteren Beschreibungen (die langen blonden Haare, das Aussehen wie eine Kreuzung aus Brigitte Bardot und Jane Fonda nebst Umengen Metall an den Handgelenken) stimmen mit meinen Erinnerungen völlig überein. Dagegen spricht eigentlich nur, dass dieses bewunderswert-ätherische Wesen noch heute über das Erdenrund wandelt: Aber vielleicht ist das ganze Inkarnationsprogramm weniger individuell wie von mir (bekennend esoterischem Banausen) vermutet.

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