Georg Forster: Werke in vier Bänden. Zweiter Band: Kleine Schriften zur Naturgeschichte, Länder- und Völkerkunde. Ansichten vom Niederrhein

Herausgegeben von Gerhard Steiner. Leipzig: Insel, o.J. [1971].

Nach seiner Rückkehr von der Weltreise mit Cook und der Publikation seiner Reise um die Welt ist Georg Forster ein bekannter Mann. Er wird Mitglied der Royal Society unter Banks, sowie von anderern wissenschaftlichen Gesellschaften in Europa. In Deutschland kennt er praktisch alle Leute, die zählen: Wieland nimmt Notiz von ihm und räumt ihm Platz in seinem Teutschen Merkur ein; mit Lichtenberg ist er befreundet. Er kennt aber leider, weder in Deutschland noch sonst wo, die Leute nicht, die zahlen. Ein bekannter Mann also, aber kein gemachter Mann. Er war gezwungen, am Collegium Carolinum in Kassel zu lehren, ein Brotberuf, der ihm äusserst zuwider war. Der einzige Vorteil dieses ‚Jobs‘ war, dass er ihm genügend Zeit liess, weitere Aufsätze und Bücher zu veröffentlichen. Einige der Aufsätze aus dieser Zeit finden wir in Band 2 der Werkauswahl von 1971.

Viele dieser Aufsätze interessieren heute allenfalls noch den wissenschaftsgeschichtlich interessierten Leser. Ein Blick in das Ganze der Natur z.B. zeigt, wie nahe schon am Ende des 18. Jahrhunderts die Naturwissenschaft daran war, die Gesetze der Evolution aufzufinden. Der Brodbaum hingegen ist eine aufs Praktische gerichtete Hymne auf ein Gewächs, das Cook und seinen Männern sehr viel geholfen hat im Kampf gegen den damals auf dem Meer allgegenwärtigen Skorbut. Cook selber ist dann Mittelpunkt des Nachrufs, den ihm Georg Forster gewidmet hat: Cook, der Entdecker. Forster schildert darin Cook als einen Menschenfreund, der nicht nur versuchte, den ihm begegnenden ‚primitiven‘ Gesellschaften auf Augenhöhe gegenüber zu treten, sondern der auch um seine „Untertanen“ sehr bemüht war (z.B. im Kampf gegen den Skorbut), und der sich keineswegs scheute, in Krisensituationen selber Hand anzulegen. So gerät Forster der Nachruf unter der Hand auch zu einem politischen Statement. Zwei weitere Schriften, Neuholland und die britische Colonie in Botany-Bay sowie Die Nordwestküste von Amerika, und der dortige Pelzhandel sind mehr historisch-nationalökonomischer Art und haben wenig Bezug weder zu Forsters Gegenwart noch zu unserer.

Dem Philosophen interessant ist hingegen Noch etwas über Menschenraßen. Als Antwort auf Herders Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit schrieb Kant eine Recension zum Thema, was wiederum Georg Forster auf den Plan rief. Forster missversteht Kant, der theoretisch (und zwar erkenntnistheoretisch) argumentiert, und Herder gegenüber festhält, dass eine vorgegebene Idee (die er bei Herder zu finden glaubt) auch zu vorgegebenen Erkenntnissen führen muss. Im Grunde genommen prallen hier der englische Empirismus (wenn überhaupt, war Forster an Hobbes, Locke und Hume geschult) und deutscher Idealismus (Leibniz‘ Monadologie, Kant) aufeinander. Der Praktiker und philosophisch kaum geschulte Forster sieht in Kants Aufsatz überdies den Ansatz zu einer Vorbe-, und damit -verurteilung fremder Rassen. Ausserdem wehrt sich der Praktiker gegen den Theoretiker, der die Welt nur von seinem Schreibtisch aus beurteilt, während er, der Praktiker, Erfahrungen vor Ort gesammelt hat. Ein grandioses Missverständnis zwischen den beiden, was zumindest Forster später (teilweise) eingesehen hat.

Die Ansichten vom Niederrhein, von Brabant, Flandern, Holland, England und Frankreich, im April, Mai und Junius 1790 sind so etwas wie der zweite grosse Reisebericht Forsters. Die Reiseroute ist schon im Titel festgehalten. Reisebegleiter waren (nur für den ‚deutschen‘ Teil) der Schauspieler Iffland und (für die ganze Reise) der junge Alexander von Humboldt. (Humboldt wird seinen Lehrer auf Grund dieser Reise sein Leben lang in ehrender Erinnerung behalten. Forster verstand es, sich Freunde zu machen.) Nach einem ersten Kapitel, das noch rein geologisch ist, wird Forster sehr rasch politisch. Im Gegensatz zu seiner Weltreise, wo Forster den fremden Kulturen ganz offen gegenüber treten konnte, kann er das zu Hause nicht. Schon die auf das geologische Kapitel folgende Beschreibung der Stadt Köln bzw. der darin herrschenden Zustände sind eine einzige grosse Anklage gegen die Herrschaft der Bischöfe in dieser Stadt. So geht es in der Folge weiter: Ob (das heutige) Belgien, ob Holland – wenn Forster nicht gerade Museen oder Privatsammlungen besucht und die darin vorgefundenen Kunstwerke beschreibt (sein Geschmack ist hier sehr konservativ) – werden die Unruhen, die damals auch schon in den an Frankreich angrenzenden Regionen herrschten, ins Zentrum des Berichts gestellt. Die Ansichten sind des öftern in Briefform geschrieben. Als das Du des Berichts muss man sich wohl Forsters gerade angetraute Frau Therese vorstellen. Das Buch bricht ab, bevor die Reisenden England erreichen. Die dortigen Erlebnisse hat der Herausgeber durch Publikation von Forsters Tagebuch ergänzt, aber für Frankreich existieren selbst im Tagebuch kaum Einträge – zu überwältigend war wohl das revolutionäre Frankreich für Forster.

Fazit: Man muss nicht alles gelesen haben aus Band 2 der Werke. Wer Forster und sein Denken etwas näher kennen lernen will, kann sich mit dem Nachruf auf Cook und seine Auseinandersetzung mit Kant begnügen. Wer mehr über den sich radikalisierenden Forster zu wissen wünscht, mag Teile der Ansichten hinzufügen – Forster Kunstkritik muss aber heute nicht mehr zur Kenntnis genommen werden.

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