Daniel C. Dennett: Spielarten des Geistes

Wenn jemand im Vorwort ankündigt, dass für Philosophen die richtigen Fragen oft wichtiger sind als richtige Antworten, so kann man das in der Regel als rhetorische Floskel abtun. Umso bemerkenswerter ist es, dass im vorliegenden Buch die erhobenen Ansprüche auch eingelöst wurden.

Dennett macht sich auf die Suche nach dem „Geist“, wobei er sich einer genauen Definition entschlägt: Er stellt schlicht fest, dass Geist etwas ist, das Menschen in der Regel zugesprochen wird. Wir gehören zur Klasse der „Geisthabenden“ – und wenn wir eine solche Teilklasse zu bilden imstande sind, so kann man daraus folgern, dass es auch Entitäten geben muss, die dieser Klasse nicht zugehörig sind. Damit ist der Weg geebnet zur alles entscheidenden Frage in diesem Zusammenhang: Ab welchem Zeitpunkt kann in der Entwicklungsgeschichte des Menschen von Geist gesprochen werden und worin besteht der entscheidende Unterschied zwischen „geisthabend“ und „geistlos“? Diese Frage kann – mit all ihren ethisch-moralischen Implikationen nur auf evolutionärer Grundlage beantwortet werden.

Damit ist die Richtung bereits vorgegeben: Man muss mit der chemischen Evolution beginnen, sich fragen, inwieweit die ersten Lebensformen bloß reagierende Automaten sind und – sofern dies bejaht wird – die Frage in der Entwicklung weiterverfolgen. Hier stellt sich auch die grundsätzliche Frage nach dem Unterschied zwischen „Wirkung haben“ und „eine Handlung ausführen“. Chemische Bausteine wird man nur Wirkung zugestehen, wie aber ist es mit den allerersten Einzellern – handeln diese, wenn sie sich bei ihrer Schwimmrichtung am Licht (oder für sie lebensnotwendigen Molekülen) orientieren? Verneint man dies (und in der Regel macht man Handlungen von einer Art „Bewusstsein“ abhängig, das zwischen verschiedenen Alternativen zu wählen imstande ist), so wird eine solche Antwort auch für den Menschen relevant. Denn wir bestehen aus genau solchen Zellen (und nur aus solchen), die in dieser Weise „blind“ reagieren – und davon sind auch die Neuronen unseres Gehirns nicht ausgenommen. Diese „funktionieren“ ganz einfach, verstärken oder hemmen einen Impuls und sind unter diesem Aspekt nichts anderes als Automaten. (Dieser Automatismus unserer Zellen ist biologisch mehr als sinnvoll: Anders könnten die zahllosen Aufgaben der Körperzellen nicht erledigt werden. So funktioniert die Virenabwehr nach dem Prinzip der primitivsten Lebensentität, die wir kennen: Dem Virus selbst. Wir tun nichts dazu, wie bei fast allen Körperfunktionen geschieht alles ohne unser Zutun – und also „handlungslos“. Der Funktionalismus ist auch nicht vom organischen Material abhängig: Wir können – etwa Hörnerven – durch andere Materialien ersetzen und die Funktion dadurch erhalten.) Wichtig erscheint in diesem Zusammenhang, dass man von der Vorstellung einer im Körper (oder im Gehirn) des Menschen agierenden obersten Zentrale absieht. Das Gehirn ist nicht der Chef, sondern eher ein störrischer Diener, der vor allem eine Aufgabe erfüllen muss: Den Körper zu erhalten. In diesem Körper steckt so viel „ich“ wie im Gehirn, die Evolution lässt in jedem Teil unseres Körpers Informationen materiell werden, es bedarf hier keines vorgestellten kleinen Männchens im Gehirn, das die Leitungsfunktion inne hat.

Wie steht es dann aber mit unserem, aus unzähligen neuronalen Verbindungen aufgebauten Gehirn? Ist es die bloße Menge, die aus dem Automatismus der Einzelzelle „Geist“ werden lässt? Dennett führt hier den intentionalen Standpunkt ein und unterscheidet ihn von einem physikalischen Standpunkt (der sich auf reine Kausalbeziehungen beschränkt) und dem Gestaltungsstandpunkt (der mich zu bestimmten Mutmaßungen über das Funktionieren eines Dinges veranlasst (wie z. B. einem Wecker), wobei die Voraussagen bezüglich seiner Funktionalität in ihrer Sicherheit nicht die des physikalischen Standpunktes erreichen). Der intentionale Standpunkt besteht dann in der bewussten Suche des für die Lebensentität Günstigen, der sich der Funktionen der Sinnesorgane bedient, um Voraussagen treffen zu können. (Die Sicherheit dieser Voraussagen nimmt ab, allerdings können die einzelnen Standpunkte in reduktionistischer Weise auf den physikalischen Standpunkt zurückgeführt werden.)

In diesem Zusammenhang kritisiert Dennett den Standpunkt, das es zwei verschiedene Intentionalitäten geben könne: Eine ursprüngliche und eine abgeleitete Intentionalität (John Searle). Diese bezeichnet die Bezogenheit unserer Gedanken, Wünsche etc. (das „Darum“), während jene die abgeleitete Form dieser Bezogenheit (Sätze, Wörter, Bücher, Bilder, Computerprogramme etc.) darstellen. Ist aber diese Trennung tatsächlich aufrecht zu erhalten? Wenn man an Paris denkt, so scheint es sich um eine direkte Weise der Bezugnahme zu handeln, wenn man einen Reisebericht schreibt um die abgeleitete Form. Diese äußeren Repräsentationen erhalten ihre Bedeutung aber durch innere Zustände (die ursprüngliche Intentionalität) und werden in irgendeiner Sprache verfasst. In welcher Sprache aber sind die inneren Zustände formuliert („in mentalesisch“ fragt Dennett leicht ironisch, um die Problematik zu unterstreichen)? Nun stellt sich die Frage, woher die Bedeutung dieser in mentalesisch verfassten Begriffe kommt, wir werden also wieder auf Sprachkonventionen zurückverwiesen wie im Falle der abgeleiteten Intention. Wie weiß ich, dass meine Idee von einer Kuh sich von meiner Idee von einer Ente unterscheidet? Durch die Bilder im Gehirn (womit die Abbildtheorie angegriffen wird)? Allerdings existieren im Gehirn keine Bilder von Enten und Kühen (und selbst wenn – woher wüssten wir dann, dass die Bilder den Kühen und Enten ähneln?). Wir operieren ganz offenkundig nur mit abgeleiteten Intentionalitäten, eine Einkaufsliste, die ich mir merke hat die gleich Intentionalität wie eine geschriebene. Anhand von Computerprogrammen wird das noch deutlicher: Ein Roboter, der nach einem bestimmten Programm agiert, kann mittlerweile auch so programmiert werden, dass er aus seinem Verhalten lernt (und dadurch dieses Verhalten bei Bedarf verändert). Offenbar ist der Roboter aber eine abgeleitete Intentionalität – wie aber verhält es sich dann mit den neuen Anweisungen, die der Roboter für sich gefunden hat? Wäre da nicht wieder eine Teilung in ursprünglich und abgeleitet fällig? Solche Reduktionsprobleme verfolgen uns mutatis mutandis immer, wenn wir den Geist zu fassen versuchen.

Ähnlich problematisch ist die Unterscheidung zwischen Empfindung und Empfindungsfähigkeit. Was macht diese aus, gibt es ein geheimnisvolles x, das aus der Empfindung die Empfindungsfähigkeit macht? Wieder stellt sich die evolutionäre Frage – von unten, indem man über Einzeller zum Tintenfisch, der Katze und schließlich bis zum homo sapiens kommt – oder von diesem abwärts: Was muss nicht unbedingt vorhanden sein, ohne dass die Empfindungsfähigkeit verloren geht? Offensichtlich besteht auch Empfindungsfähigkeit in unzähligen Abstufungen und offenbar kann dieses x ebenso wenig dingfest gemacht werden wie das x des Geistes. Wichtig ist für Dennett diese Empfindungsfähigkeit, weil er in seinen Überlegungen stets auch auf den moralischen Aspekt abzielt: Denn von der Empfindungsfähigkeit (oder dem Geist) ist unsere Behandlung anderer Lebewesen hauptsächlich abhängig. Weshalb bei Experimenten mit Bakterien kaum ethische Bedenken auftauchen (und auch nicht, wenn wir unseren Computer hinunterfahren), spätestens mit der Ausbildung eines zentralen Nervensystems wird dieses Problem aber akut.

Intentionalität weist ähnlich unzählige Abstufungen auf wie die vorgenannten Eigenschaften: Der Vorrat an Reaktionsmöglichkeiten steigt, es entstehen Verstärkermechanismen (Hebbsches Lernen), wodurch ganze Netzwerke von Nervenzellen modifiziert werden, schließlich kommt es zur Entwicklung einer Art „inneren Umwelt“, die zum Testen unserer Hypothesen dient (Popper: Statt selbst zu sterben sterben unsere Hypothesen), Hypothesen, die vor eine Art Schiedsgericht des Körpers gebracht werden: Dieses signalisiert durch „Gefühle“, durch Zittern, Angst etc. die Plausibilität und Sinnhaftigkeit des Vorhabens. Der evolutionäre Vorteil dieser popperschen Geschöpfe ist offenkundig und es sind nicht nur die Menschen, die sich einer solchen inneren Umwelt bedienen.

In einem letzten Schritt bedienen sich Lebewesen zur Manipulation ihrer Umwelt verschiedener Werkzeuge bzw. Methoden, um Kognitionsaufgaben in die Umwelt auszulagern (man markiert die Umwelt durch unterschiedliche Sinnesreize): Wobei das letzte, entscheidende Werkzeug die Sprache darstellt, die die soziale Vermittlung solcher externen Marker ermöglicht. (Die Wichtigkeit des Markierens seiner Umwelt wird bei Alzheimerpatienten sichtbar: Bringt man sie aus ihrer gewohnten Umgebung, verlieren sie oft vollkommen die Orientierung.) Die Sprache ist wahrscheinlich auch die entscheidende Instanz, um eine Metaposition einnehmen zu können: Eine Katze jagt zwar, aber sie dürfte nicht wissen, dass sie jagt. Sie hat ein „wissen wie“, aber kein „wissen dass“, eine Unterscheidung, auf die schon Bertrand Russel aufmerksam gemacht hat. Der Schlusspunkt der intentionalen Entwicklung besteht schließlich in der Schrift: Dadurch wird es möglich, von den Erfahrungen unzähliger Generationen zu profitieren und weitgehende Sicherheit zu bekommen, dass erworbenes Wissen nicht mit seinem Besitzer verloren geht. Die Entwicklung scheint also von ausgezeichnet funktionierenden Automaten, Konstruktionen mit beeindruckendem „know-how“ über Geschöpfe, die Kognitionsaufgaben in ihre Umwelt auslagerten bis zu „höheren“ Wesen, die eine (zumindest vage) Vorstellung von ihrer Zukunft bzw. ihren Vorhaben entwickelten und uns sprach- und schreibbegabten Menschen verlaufen zu sein. Wir sind die einzigen im Tierreich, die über ihre Begriffe nachdenken können (was an der Sprache liegt: Man kann einem Schimpansen keine Begriffsrepräsentation von was auch immer vermitteln, ohne das betreffende Ding ihm vorzuweisen), weshalb auch die bekannte Frage von Thomas Nagel, wie es sich anfühlt, eine Fledermaus zu sein, wahrscheinlich schon falsch gestellt ist. Denn die Voraussetzung, dass es sich überhaupt irgendwie anfühlt, ist mehr als fragwürdig: Es könnte sich so anfühlen wie unsere unbewussten Handlungen (die Schnürsenkel binden oder die Gangschaltung betätigen).

Für die Problematik, wie denn nun Tiere zu behandeln sind, ergibt sich – fast selbstverständlich – auch keine klare Antwort: Der Hinweis auf die Unterscheidung zwischen Leiden und Schmerzen scheint mir aber sinnvoll zu sein. Aber auch hier bleiben viele (kluge) Fragen offen: Sind alle Schmerzen erlebte Schmerzen (was ist, wenn wir im Schlaf unsere Stellung wechseln, um dem Druck auf der Schulter zu entgehen – erleben wir diesen Schmerz), ergeben die Summe der Schmerzen das Leiden (kaum weil für das Leiden vor allem die Erinnerung als auch die Möglichkeit der Antizipation ausschlaggebend sind als auch das Abwägen der Folgen)? Vergleiche von Mensch und Tier scheinen diesbezüglich auch nicht immer zielführend: Das Leiden von Tieren ist selbst bei Primaten offenbar ein anderes (Dennett erwähnt die Kämpfe von Schimpansen, denen dabei die Hoden abgerissen werden und die tags darauf bereits wieder fröhlich kopulieren). – Tatsächlich bleiben also viele Fragen offen, aber das Buch ist anregend wie kaum ein zweites zu diesem Thema. Wobei ich nur einen Ausschnitt aus den zahlreichen Fragestellungen behandelt habe. Neben der klugen und von großer Fachkenntnis zeugenden Darstellung besticht auch die Schreibweise: Witzig, voller Esprit, manchmal sarkastisch, ironisch, immer aber geistreich. Ein Muss.

Daniel C. Dennett: Spielarten des Geistes. München: Bertelsmann 1999.

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