Erwin. Vier Gespräche über das Schöne und die Kunst. Nachdruck der Ausgabe Berlin 1907 zusammen mit Solgers Rezension von A. W. Schlegels „Vorlesungen über dramatische Kunst und Literatur“. Mit einem Nachwort und Anmerkungen herausgegeben von Wolfhart Henckmann. (München: Wilhelm Fink, 1971) – Erwin erschien zum ersten Mal 1815; die Rezension von Schlegel erst nach Solgers Tod 1819.
Sehr zum Nachteil seiner Rezeption ist Solger relativ früh verstorben. So konnte er sich nicht mehr gegen Hegels Urteil wehren, sein Erwin sei unsystematisch und deshalb unphilosophisch. Hegel war der damals führende Philosoph Deutschlands (übrigens wurde er von Solger nach Berlin berufen!), und sein Urteil war Gesetz. Bis heute hat sich Hegels Ansicht auch bei Nicht-Hegelianern festgesetzt.
Henckmann versucht, diesem Urteil entgegen zu wirken. Er vertritt, wie Solger selber, die Ansicht, Erwin sei durchaus systematisch konstruiert. Der Nachweis dessesn gelingt Henckmann nur teilweise, die Schuld trifft allerdings Solger selber. Es ist nämlich weniger die Dialogform an sich – obwohl sie Hegel als Form systematischen Philosophierens per se suspekt war – die eine adäquate Rezeption von Erwin schon zu Solgers Lebzeiten hinderte. Schliesslich kennt der Dialog altehrwürdige Vorbilder in der Philosophie: Von Platon bis hinunter noch zu Berkeley wurde er fleissig verwendet. Es ist die Art und Weise, wie ihn Solger anwendet: Vier Männer treffen sich auf einer schönen Au bei einer Quelle. Einer davon ist Erwin, ein junger Mann und hauptsächliches Ziel der Belehrungen Adelberts. Aber Erwin ist nicht das Problem, sondern Adelbert. Letzten Endes ist Adelbert das Sprachrohr Solgers. Seine Meinung gilt, alle andern haben zurückzutreten. So fungieren sie bestenfalls als Stichwortgeber. Adelbert klemmt Exkurse ab, verweist auf später noch Folgendes etc. Das macht es schwierig, dem Inhalt zu folgen. Vielleicht deshalb liess der Herausgeber dem Erwin noch Solgers Rezension der grossen Ästhetik A. W. Schlegels folgen. Nicht, dass diese Rezension viel klarer wäre.
Schon ganz zu Beginn von Erwin, wo es um eine Geschichte der Ästhetik als philosophische Disziplin geht, verschwindet dieses Thema rasch im Hin und Her der Dialogpartner. Baumgarten scheint bei Solger eine relativ grosse Rolle zu spielen, Burkes Distinktion vom Schönen und Erhabenen gleichfalls. Kant, um den man zu Solgers Zeit eigentlich nicht herumkam, wird mit seiner Kritik der Urteilskraft zwar hin und wieder erwähnt – aber so ganz scheint Solger mit dem Königsberger nicht warm geworden zu sein.
Soweit ich Solger verstehe, geht er davon aus, dass Kunst immer Schaffen ist; Produktion und Rezeption von Kunst fallen ineinander. Hinter dem Schönen (oder besser wohl: im Schönen) steht das Erhabene. Die Kluft zwischen den beiden ist eine scheinbare, überbrückt wird sie durch die Ironie. Wenn Solger hier allerdings den frühromantischen Begriff der Ironie bemüht, wird er nicht klarer als es die Frühromantiker Friedrich Schlegel und Novalis, die die Ironie im Fragment am Werk sahen und als Universalpoesie in einem immer dauernden Prozess Leben und Kunst miteinander in Beziehung setzt. Vielleicht hätte Solger an Stelle des Begriffs ‚Kunst‘ ‚Idee‘ gesetzt, aber so ganz verständlich drückt er sich zu diesem Thema nicht aus.
Seine mangelnde Klarheit macht, dass Solger – anstatt eine Brückenfunktion von Romantik zum deutschen Idealismus darstellen zu können – im Niemandsland zwischen den beiden Bewegungen verschollen ging.