Jochen von Lang: Das Eichmann-Protokoll

Ich konnte – ohne mir allerdings zu viel Mühe zu machen – nicht eruieren, wann die erste Auflage der „Eichmann-Protokolle“ erschienen ist: Es muss aber recht bald nach dem Prozess gewesen sein, da Hannah Arendt in ihrem Buch sowohl aus diesen Protokollen als auch aus dem Nachwort wörtlich zitiert. Meine Ausgabe ist von 1991 und meine Annahme, dass die Protokolle nicht vor 1980 erschienen seien muss demnach falsch sein (die gesamten Protokolle wurden meines Wissens nie veröffentlicht, sie umfassen mehrere tausend Seiten).

Anlass für das Wiederlesen war Arendts oben erwähntes Buch über „Eichmann in Jerusalem“: Das meinen Erwartungen ganz und gar nicht entsprochen hatte und dessen Charakterisierung Eichmanns ihn mir weniger unangenehm erscheinen ließ als er (des vorliegenden Buches wegen) mir in Erinnerung war. Der Grund lag in einer abwertend-arroganten Beurteilung (vor allem des jugendlichen) Eichmann, einer bemühten Verächtlichmachung, die gerade durch dieses Bemühen mich diesen Menschen innerlich verteidigen ließ: Denn es ist – wie schon in der Besprechung erwähnt – lächerlich und dumm, beispielsweise dem Jugendlichen allerhand negative Eigenschaften zusprechen zu wollen, weil man von seiner späteren Karriere weiß.

Insofern kann ich die Protokolle nur empfehlen: Sie sind authentisch und sie lassen nicht das Gefühl aufkommen, dass da jemand ungerecht behandelt würde. Im Gegenteil, der das Verhör führend Hauptmann Avner W. Less (dessen eigener Vater nach Auschwitz deportiert wurde) wirkt nie aggressiv oder stellt Suggestivfragen, seine schwierigsten Momente während des Verhörs waren (nach seinen Angaben) jene, in denen sich Eichmann bei ihm anzubiedern versuchte. Hat man bei Arendt noch oft den Eindruck, dass die Verteidigungstaktik Eichmanns, sich für all sein Tun auf Befehle und Verordnungen „von ganz oben“ zu berufen, weniger eine Ausflucht als ein tatsächliches, problemloses Funktionieren in seinem Amtsbereich war, so wird durch diese Protokolle völlig klar, dass es dem SS-Obersturmbannführer keineswegs nur um ein Gehorchen ging, sondern dass er im Rahmen seiner Möglichkeiten (die so gering nicht waren, wenngleich er keinesfalls zur Elite des NSDAP-Staates gezählt werden kann) alles tat, um möglichst viele Menschen in die Konzentrationslager zu deportieren (dies wird besonders während seiner Tätigkeit in Ungarn offenkundig, als Himmler – den drohenden Untergang vor Augen – eine Einstellung der Deportationen verfügte, während Eichmann von dergleichen nichts wissen wollte).

Und es sind die von Kollegen oder Untergebenen hinterbrachten mehr-weniger privaten Äußerungen Eichmanns (wie seine Abschlussrede am Kriegsende), die den Überzeugungstäter (und nicht das kleine funktionierene Rädchen der NS-Vernichtungspolitik) zum Vorschein bringen. Oder aber seine noch lange nach Kriegsende gemachten Anmerkungen in Büchern über die NS-Zeit (wenn er etwa jene Personen, denen sehr viel früher Zweifel an der Politik Hitlers kamen, mit Bezeichungen wie Verräter, Schuft oder Lump bedenkt, mit denen aufgrund ihrer Untreue der Krieg nicht gewonnen werden konnte), die ein Bild von seinen Überzeugungen zeichnen, welche seine Rechtfertigungen während der Verhöre, seine angebliche Neutralität den Befehlen gegenüber, völlig unglaubwürdig erscheinen lassen. Manche Anschuldigungen seiner ehemaligen Kollegen sind aber mit Vorsicht zu genießen: Da jeder seine eigene Haut zu retten und anderen die gesamte Verantwortung zu geben versuchte.

Insgesamt aber sind diese Aufzeichnungen – je weiter man mit ihnen kommt – in einem Maße entlarvend, wie es einer reinen Anklage (wie sie etwa Arendt vorbrachte) niemals gelungen wäre. Eichmann ist in ungewollter Weise authentisch, er verrät gerade dort, wo er nichts gewusst, keine Befugnisse gehabt haben wollte, wo er sich für nicht zuständig erklärte, seine wahre Einstellung, die weit von jener Haltung entfernt war, die er den Anklagebehörden zu suggerieren versuchte: Dass er im Grunde freundschaftlich mit den Vertretern der Juden zusammenarbeitete und lange Zeit sich nur um deren Auswanderung bemühte. Ihm war selbstverständlich klar, dass durch seinen Diensteifer und seine Beflissenheit sehr viel mehr Menschen ermordet wurden als dies durch ein geringfügig anderes Verhalten in seiner Position möglich gewesen wäre. Er wollte den Tod dieser Menschen; und wenn er ihn auch nicht befohlen hatte, so arbeitete er im Wissen um das Schicksal der Betreffenden mit seiner ganzen Energie an dieser Vernichtung. Dieser Wille bezog sich keineswegs nur auf „transporttechnische“ Maßnahmen, sondern auch auf das mit diesen Transporten verfolgte Ziel: Die Auslöschung des Judentums in Europa. – Ein gerade deshalb so lesenswertes Buch, weil in ihm weitgehend auf Kommentare verzichtet und man dadurch mit der ungeschminkten Realität der Person Eichmann konfrontiert wird.


Jochen von Lang: Das Eichmann-Protokoll. Wien: Zsolnay 1991.

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