Allerdings gibt gerade dieser letzte Auftrag Cox zu denken: Ein absoluter Herrscher wie dieser Kaiser herrscht auch über die Zeit – und daher könnte man diese Uhr (so sie denn von ihm und seinen Gehilfen erschaffen werden könnte – sie bedienen sich für den zeitlosen Antrieb des Luftdrucks und der steigenden und fallenden Quecksilbersäule, um das Werk in Gang zu halten) als eine Art Sakrileg interpretieren, eine Missachtung der absoluten kaiserlichen Macht. Und da Cox am Hofe des Kaisers unmittelbar dessen Machtfülle zu erleben gezwungen war (die in grausamen Hinrichtungen für bereits kleine, den Kaiser verstörende Unbotmäßigkeiten bestand), versucht er die Fertigstellung mit allen Mitteln zu verzögern, bis ihm vom Hof deutlich zu verstehen gegeben wird, dass ein weiterer zeitlicher Aufschub nicht geduldet werden würde. Er entzieht sich der Gefahr durch Diplomatie: Indem er die zur Ingangsetzung des Wunderwerkes notwendigen Utensilien (nebst einer Anleitung) dem Kaiser überrreichen lässt. Denn nur der Herrscher über die Zeiten (einer seiner Titel lautet „Herr über die zehntausend Jahre) sollte auch die Macht haben, diese ins Unendliche zielende Uhr in Gang zu setzen. Worauf Qianlong, allein mit dem Materie gewordenen Wunder, schließlich verzichtet.
Wie in allen seinen Büchern gelingt es Ransmayr durch seine genauen Beschreibungen, seine feinfühlige Darstellung einen wundervoll zu lesenden Roman zu schaffen, einen Roman, der in Stil und (oft phantastischem) Inhalt mittlerweile Seltenheitswert in der rezenten Literatur hat. Es ist die spürbare Freude am Erzählen, die die Freude des Lesers bewirkt, aber es ist kein bloß geübtes Abspulen von Handlungsfäden, sondern eine gelungene Mischung von Metaphorik, unaufdringlicher Philosophie (die hier selbstredend die Zeit betrifft) und spannender Darstellung. Ein Roman über Macht und Zeit – über Ohnmacht und Vergänglichkeit. Denn beide – sowohl Cox als auch der chinesische Kaiser – sind Seelenverwandte, hegen den Wunsch nach dem Unerfüllbaren. Qianlong sucht seine Macht über alle zeitliche Beschränkung hinaus auszudehnen, Cox hinwiederum ist davon beseelt, seine verstorbene kleine Tochter wiederauferstehen zu lassen. Träume, deren Scheitern unausweichlich ist und denen mit kleinlichem Menschenwerk nicht beizukommen ist. Das Unerfüllbare als Kompensation für eine nüchterne Wirklichkeit (in der sich beide nur beschränkt bewähren), die sich weder um die Befindlichkeit des Kaisers noch des berühmten Automatenbauers kümmert. Lesenswert!
Christoph Ransmayr: Cox oder Der Lauf der Zeit. Frankfurt a. M.: Fischer 2016.