John Williams: Stoner

Dieser Roman ist eine Neu- und Wiederentdeckung, erschien erstmals 1965, wurde aber erst nach der Neuausgabe in der Reihe der “The New York Review of Books” 2006 bekannt und zu einem Verkaufserfolg. Ob zu Recht? ich weiß nicht …

Stoner ist der einzige Sohn eines Bauernehepaares, seine Zukunft scheint vorgezeichnet: In die Fußstapfen seines Vaters zu treten und den Hof weiterzuführen. Die Möglichkeit, seine landwirtschaftlichen Kenntnisse an einer Universität zu verbessern, bringt die entscheidende Änderung im Leben Stoners: Er begeistert sich für englische Literatur, wechselt das Fach (ohne das seinen Eltern mitzuteilen) und wird Dozent an der Universität. Sein Leben verläuft in vermeintlich normalen Bahnen, eine unglückliche Ehe, eine Tochter, die ihm als Kind sehr nahesteht, später aber immer mehr entgleitet, Intrigen an der Universität, die eine Karriere unmöglich machen und eine Liebesbeziehung zu einer Studentin, die ihn kurz eine Ahnung von Glück beschert. Freunde hat er kaum, nur Gordon Finch, der Dekan, den er aus seinen Studienzeiten kennt, hält manchmal über ihn seine schützende Hand im Kampf um akademische Ehren. Stoisch nimmt er die Schicksalsschläge, schließlich auch den Tod hin: Nur die Literatur, die Liebe zu den Büchern scheint das Leben gelohnt zu haben.

Das Buch besticht durch eine ruhige, abgemessene Sprache, die eine melancholische Stimmung evoziert, sich leicht liest und dennoch von großer Prägnanz ist. Dieser Fluss aber wird gestört durch Szenen, die bemüht und künstlich wirken: So das Erweckungserlebnis, das den Protagonisten seine Liebe zur Philosophie und Literatur erkennen, oder jenes Versinken in die Arbeit seiner späteren Geliebten, die ihn die Zeit vergessen lässt, wodurch die Verbindung erst geknüpft werden kann. Das sind Topoi, Stereotypen, die beim Lesen peinlich berühren, hilflos wirken, obschon vielleicht gerade ihnen der große Erfolg des Buches zu verdanken ist. Ähnliches widerfährt einigen Figuren: Die eigentümlich spröde Edith, Stoners Frau, wirkt trotz – oder wegen – ihrer Eigenwilligkeit, ihrer seltsamen Attitüden wie ein literarisches Kunstprodukt und nicht wie eine Frau, deren Existenz in dieser Welt wahrscheinlich ist. Auch die Auseinandersetzung mit Lomax, dem Stoner in seinem Institutsbereich vorgesetzten Professor, wirkt aufgesetzt: Nicht, dass solche Intrigen an Universitäten nicht gesponnen würden (im Gegenteil, die Darstellung des Kampfes zwischen den Professoren gehört zum besten des Buches), der Anlass aber (Lomax, selbst körperlich beeinträchtigt, vermutet – völlig unverständlich – eine Voreingenommenheit Stoners gegenüber einem Kriegsversehrten) ist an den Haaren herbeigezogen (die Darstellung dieses Studenten hinwiederum ist durchaus gelungen).

Diesen “literarischen” Versatzstücken dürfte – wie erwähnt – der Verkaufserfolg des Romans zu verdanken sein, jenen Erfindungen, die die Geschichte mit Brüchen versehen, ohne auf ihre Plausibilität zu achten. Das ist natürlich stets eine Gratwanderung (und was für den einen noch Kunst – ist für den anderen schon Kitsch): Für meinen Geschmack hat Williams in so manchen Szenen jene künstlerische Dezenz vermissen lassen, die das Buch wirklich zu einem großen Roman hätte machen können. Beispielhaft auch das Sterben Stoners: Das ist zum Teil wirklich beeindruckend beschrieben, aber dann doch wieder durchsetzt mit zuviel stoischer Gelassenheit und Seelenruhe, von einer Ataraxie getragen, die Theorien griechischer Philosophen beeinflusste, selten aber das tatsächliche Sterben des Einzelnen. Ich glaube nicht, dass Williams dabei bewusst auf Effekte geschielt hat: Aber er schien allzu oft eine Geschichte erzählen zu wollen, die offenkundig ausgedacht, ein Produkt seiner Phantasie und in diesem realistischen Szenario fehl am Platz war.


John Williams: Stoner. München: DTV 2013.

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