Ich weiß allerdings nicht, ob die weibliche Sicht der Dinge sich von der männlichen tatsächlich so sehr unterscheidet (immer vorausgesetzt, dass der/die Betreffende sich ehrlich seinen Gefühlen stellt und nicht die vorgegebene Rolle spielt). Viellicht fällt es Frauen leichter, auch über die Schrecknisse, die Traumata zu berichten, während männliches Erzählen das Grauen durch militärisches Schlachtengetöse zu übertönen versucht. Dabei weist die Autorin darauf hin, dass für die Ehrlichkeit des Geschilderten eine der entscheidenden Bedingungen darin liegt, der Betroffenen allein gegenüberzusitzen: Eine Erfahrung, die ich auch bei Männern gemacht habe. Kriegserzählungen in einer Gruppe haben immer etwas Hehres, Abenteuerliches, während in einem Zweiergespräch ein anderes Bild präsentiert wird: Das des Schreckens, der Abgründe, auf die einzulassen es emotionalen Mut braucht. Ich habe in meiner Jugend zahlreiche solche Gespräche geführt (im Schachcafé) – und diese Beobachtung immer bestätigt gefunden.
Das, was hier manchmal geschildert wird, ist – teilweise – so abgründig, dass man nach einigen Kapiteln eine emotionale Pause benötigt. Obwohl es auch die andere, menschliche Seite gibt, die sich dann zeigt, wenn der vermeintlich monströse Gegner verletzt, geschlagen ist. Sodass es nicht wenige anrührende Schilderungen gibt, die eine Art Hoffnung auf Menschlichkeit vermitteln – inmitten des Gemetzels. Insgesamt aber eine Darstellung, die verständlich macht, dass hier eine ganze Generation traumatisiert wurde, die oft erst lange nach dem Krieg feststellen mussten, dass ihnen ein normales Leben nicht mehr möglich ist. Dazu kommt eine männlich-chauvinistische Verachtung der weiblichen Kämpferin im Frieden, deren Einsatz nicht nur oft unbedankt blieb, sondern auch eine soziale Ausgrenzung zur Folge hatte (Frontsoldatinnen waren als Ehefrauen wenig begehrt, mit dem Frauenbild nicht kompatibel).
Und obwohl auch dieses Buch der Autorin (wie ihre anderen) ein großes Maß an Intensität und Authentizität vermittelt, war es das erste, das den Eindruck vermittelte, seine Protagonisten würden nicht immer die ganze Wahrheit mitteilen. Einmal, zwischen den zahlreichen Erzählungen über das oft zweifelnde, aber immer höfliche und anerkennende Verhalten der Männer, findet sich auch die Aussage über sexuelle Übergriffe in der Armee: „Hat ihnen davon jemand erzählt? Nein? Glaube ich.“ Nur diese einzige Frau schildert diese Situation, in der sie sich mit dem Bataillonsführer liiert, um gegen die anderen Soldaten geschützt zu sein. Als Frau unter Soldaten, die seit 3 oder 4 Jahren kein weibliches Wesen mehr gesehen haben – das sei ein ständig bedrohlicher Zustand gewesen. Aber davon zu berichten brachte offenbar (fast) niemand übers Herz.
Dieses Buch ist – wie alle um Aufrichtigkeit bemühten Kriegsdarstellungen – ein Anti-Kriegsbuch. Es demonstriert den Wahnsinn, die Grausamkeit, die Sinnlosigkeit und das Leiden solcher Auseinandersetzungen, ein Leiden, das aber nach einigen Generationen fast vergessen erscheint. Umso wichtiger sind diese Augenzeugenberichte, die das Morden und die Unmenschlichkeit kriegerischer Auseinandersetzungen ungeschminkt darstellen: Um gegen jene anzugehen, die den Krieg noch immer für ein legitimes Mittel der Politik halten.
Swetlana Alexijewitsch: Der Krieg hat kein weibliches Gesicht. München: Hanser 2013.