Patrick Leigh Fermor: Roumeli

Ursprünglich war wohl angedacht, dass Patrick Leigh Fermor nach seinem Buch über Mani weitere Bücher über weitere Regionen Griechenlands schreiben wollte. Doch das zweite schon, das hier vorliegende über Roumeli, blieb das letzte. Und es sollte erst acht Jahre später erscheinen als Mani, nämlich 1966. Am Autor kann es nicht gelegen haben; Fermor starb erst 2011, im hohen Alter von 96 Jahren.

Aber er wurde sich offenbar zwischen Mani und Roumeli dessen bewusst, was ich in meinen Bemerkungen zu Mani geschrieben habe: Griechenlands Tourismus-Industrie erlebte zu Beginn der 1960er Jahre einen ungeheuren Boom. Das bedeutete auch, dass das ‚alte‘ Griechenland, das Fermor 10, 15 Jahre zuvor noch kennen gelernt hatte, rapide verschwinden sollte. Das galt selbst für den in diesem Buch hier geschilderten Norden Griechenlands. Die auf hohen Felsen gelegenen Kloster, die er noch nur erreichen konnte, indem er sich von den oben wohnenden Mönchen an einem Seil hoch ziehen liess: Heute (also 1966!) karrten Autobusse ganze Heerscharen von Touristen bequem auf den Berg. Die verschlafenen, pittoresken Fischerdörfchen mit ihren Fischerhäuschen wurden zu mondänen Hafenstädtchen, die Häuschen durch luxuriöse Ferienhäuser der Reichen abgelöst. Die ‚urchigen‘ Restaurants, die noch die herkömmliche griechische Atmosphäre verströmten, wurden in Reiseführern und -berichten ausgelobt und daraufhin prompt von Touristen derart überschwemmt, dass genau der Charakter verloren ging, dessentwegen sie so hoch gelobt worden waren. Die halbnomadisch lebenden Hirtenstämme im Norden Griechenlands, die Fermor noch besucht hatte, liessen sich zusehends in der Athener Agglomeration nieder und wurden sesshaft – dabei natürlich auch ihr altes Brauchtum verlierend.

Diese Bewegung war universell; und jeder Autor von Reiseberichten reagierte ein wenig anders darauf. Während sich Richard Katz zum Beispiel von der Schilderung grosser Weltreisen der kleiner Erlebnisse und Anekdoten zuwandte, kleiner Reisen ins nahe gelegene Interior Brasiliens, wo der Tourist noch nicht hingeführt wurde, und zum Schluss gar seinen eigenen Garten schilderte, versuchte Fermor, seine Schilderung Roumelis so zu gestalten, als ob zum Beispiel jene Hochzeit bei einem halbnomadischen Hirtenstamm erst gestern gewesen wäre. Aber er kann das nicht durchs ganze Buch durchhalten, und so ergänzt er es durch eine Schilderung der Nächte, die er als eine Art britischer Spion im von Deutschland besetzten Kreta des Zweiten Weltkriegs erlebt hat, und er versucht sich darin, die beiden Wörter Romai und Hellene – die beide offenbar zu jener Zeit von Griechen als Bezeichnung ihrer selbst angewendet wurden – sozusagen völkerkundlich zuzuordnen, indem er aus ‚dem Griechen‘ ein Mischwesen zweier Herkünfte machte: der Herkunft aus dem antiken griechischen Denken (mit der antiken Art, zu politisieren) und der Herkunft von Byzanz, das lange über die griechische Halbinsel geherrscht hatte, und dessen Einfluss Fermor offenbar für wichtiger ansah, als den der Osmanen, die auf Byzanz gefolgt waren. So ist für ihn der Romai der Nachkomme des alten Roms – jener Grieche, der das Leben geniesst; der Hellene ist Nachkomme des antiken Griechenland, ein einer rationalistischen Ethik und dem Modernismus verpflichteter Mensch. Meine Verkürzung seines Gedankengangs hebt die leicht rassistischen Untertöne seine Unterfangens vielleicht allzu sehr hervor – sie sind aber zweifellos vorhanden, auch wenn er im Laufe des Textes dazu geführt wird, auch dem Romai dieselben Charaktereigenschaften zuzugestehen, wie dem Hellenen. (Ganz abgesehen davon, dass Fermor der sich an Byzanz orientierende Grieche lieber war, als der Grieche, der Platon, Aristoteles und Alkibiades als seine Vorbilder sah.)

Die beiden Exkurse wären für das Buch nicht nötig gewesen; aber ohne sie hätten wir eher eine Broschüre denn ein Buch vor uns gehabt. Die interessanteste Episode ist vielleicht jene, wie Fermor – im Auftrag einer Nachfahrin Byrons (die wiederum mit einen Nachfahren Bulwer-Lyttons verheiratet war, der den Untergang Pompeis beschrieb) – in Griechenland nach einem Paar Schuhe sucht, das dort von Lord Byron seinem Gastgeber hinterlassen worden war. Da schnuppert der Leser an der grossen Welt- und Literaturgeschichte…

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