Hier stimmt schon der Titel in der englischen Übersetzung nicht, wie die Übersetzer R. A. B. Mynors, R. M. Thomson und M. Winterbottom in ihrem Vorwort auch zugeben. Aber „Die Taten der Könige der Engländer“ (bzw. eben „The Deeds of the Kings of the English“) klingt mit einem doppelten Genitiv weder im Deutschen noch im Englischen sehr elegant. Tatsächlich aber war diese genaue Unterscheidung zur Zeit von William von Malmesbury (er lebte von 1095-1143) durchaus relevant: Nicht alle Könige der Engländer waren englische Könige. Denn um 1125, als William seine Taten verfasste, war die Eroberung Englands durch den Normannen Wilhelm gerade mal eine oder anderthalb Generationen her, und der Graben zwischen den eingesessenen „Engländern“ und den Normannen noch gross. (Dass die „Engländer“ sich gerade erst aus Angeln und Sachsen amalgamiert hatten, war hingegen bereits vergessen.) William von Malmesbury musste den Graben aus eigener Erfahrung kennen: Nach allem, was wir wissen, war sein Vater ein normannischer Edelmann, seine Mutter Engländerin unbekannter Herkunft.
Dabei war er, wenn nicht der gelehrteste, so doch wohl der belesenste Mann seiner Zeit. Seine eigene Bibliothek war für damalige Verhältnisse gross, daneben war er Bibliothekar am Kloster von Malmesbury. Er entschied sich sogar dafür, Bibliothekar zu bleiben, als ihm die Stelle des Abtes von Malmesbury angeboten wurde, so sehr liebte er seine Bücher und das Lesen. Ausserdem war er häufig auf Reisen, um Werke, die weder er noch sein Kloster besassen, in den Bibliotheken anderer Kloster lesen zu können. (Fernleihe war noch unbekannt…) Aus seiner breiten und reichen Lektüre zitiert er denn auch fleissig in den Taten. Er kennt die alten Heiden. Cicero wird des öftern als Rhetoriker angeführt. Dazu weisen die Übersetzer in so mancher Fussnote versteckte Zitate vor allem aus Vergil nach. Aber selbst Horaz darf nicht fehlen.
William erzählt in seinen Taten von den englischen Königen seit ungefähr 400 bis in seine eigene Gegenwart. Obwohl er sich im Grossen und Ganzen an seinem Vorgänger Beda orientiert (den er auch über den grünen Klee lobt), unterscheidet er sich doch signifikant von ihm. Da ist zum einen die Tatsache, dass er eindeutig politische Geschichte schreiben will; ein Buch zur Geschichte der englischen Kirche (Gesta Pontificum Anglorum – dt.: Die Taten der Bischöfe der Engländer) hat er ja ebenfalls geschrieben. Sicher, er kann sich nicht enthalten, auch ein bisschen Geschichte der englischen Bistümer in den Taten der Könige zu treiben; auch die Auseinandersetzungen des Zeitgenossen Anselm von Canterbury mit Papst und englischem König werden geschildert. Der andere Punkt, in dem sich William von Malmesbury von Beda unterscheidet, ist, dass William als erster Verfasser eines Geschichtswerks seinen Leser im Blickfeld hat. Immer wieder und ganz bewusst, es offen zugebend, unterbricht er seine trockenen Relationen von Taten mit Digressionen und Anekdoten. Vor allem ab Buch II wird das systematisch durchgeführt. Dabei bemüht er sich immer, im Rahmen des Wahrscheinlichen zu bleiben. Ganz extravagante Geschichten, wie sie aus den Legenda aurea stammen könnten, werden , wo sie doch erzählt werden, interessanterweise immer nur nicht-englischen Königen zugeschrieben bzw. haben sich nicht auf englischem Boden zugetragen. Last but not least verfügt William von Malmesbury auch über eine ausgeprägte satirische Ader, so wenn er den keuschen Lebenswandel und die frommen Sitten des notorischen Lebemannes Henry I. lobt. (Vieles an der Satire mag auch der Tatsache geschuldet sein, dass es gerade dieser Henry war, mit dem Anselm von Canterbury am heftigsten im Streit um eine Reform der englischen Kirche lag. William von Malmesbury war eindeutig auf der Seite Anselms.)
Und, so nebenbei, finden wir die Schilderung eines Flugversuchs, den ein Klosterbruder von William in Malmesbury offenbar tatsächlich unternommen hat. Diesem Bruder gelang es, über ein paar Meter zu segeln.
Ein nicht nur für die Geschichte der Geschichtsschreibung wichtiges Buch. So manches, was wir, vor allem über deren Äusseres und Gewohnheiten, von Wilhelm dem Eroberer und seinen Söhnen William Rufus und Henry I. wissen, verdanken wir William von Malmesbury.