Wagenrennen im antiken Rom (so der Untertitel): Da kommen wohl einem jeden sofort die entsprechenden Szenen aus Ben Hur in den Sinn, und auch Weeber nimmt das eine oder andere Mal auf den Film Bezug. Im Grossen und Ganzen, gibt er zu, hat der die Atmosphäre, die an den Rennen herrschte, nicht schlecht eingefangen, auch wenn der Dramatik zu Liebe die Zahl der Unfälle in einem einzigen Rennen doch wohl übertrieben wurde. 9 startende Wagen, 7 Totalschäden, 4 Wagen, die ins Ziel kommen – abgesehen von mathematischen Problemen, und auch wenn Unfälle zum Business gehörten und vom Publikum erwartet wurden: 7 zerstörte Wagen wegzuschaffen, dazu die verletzten oder getöteten Pferde und Wagenlenker, hätte den eng gesteckten Zeitplan der Organisatoren arg durcheinander gewirbelt. Schliesslich fanden an einem Tag Dutzende Rennen statt.
Vor allem aber spielt Ben Hur in Jerusalem, und auch wenn in verschiedenen Provinzstädten ebenfalls Wagenrennen durchgeführt wurden: Die besten und teuersten Pferde, die besten und teuersten Wagenlenker, das fanatischste Publikum und last but not least die grösste Rennbahn – das alles fand man in der Hauptstadt, in Rom, im Circus Maximus. Und so beschreibt Weeber vor allem die Wagenrennen in der Metropole.
Das kleine Büchlein (keine 150 Seiten) ist informativ und witzig geschrieben. Es lenkt den Blick auf ein Stück römischen Alltags, von dem man zwar weiss, den man aber als Leser auch antiker Literatur kaum im Auge hat. Wagenrennen waren damals – ähnlich wie heute in Europa Fussball oder Formel-1-Autorennen – Spektakel für die grosse Masse. Und gewisse Mechanismen des Fandoms kann man schon im alten Rom beobachten. Die unbedingte Anhängerschaft der Fans an eine der vier Farben der Renngesellschaften, aber auch die auf persönlichen Profit ausgerichtete Mentalität der Jockeys: Wenn eine andere Farbe ihnen mehr Geld bot, wechselten sie skrupellos das Team. Die Fans aber blieben bei ihrer Farbe, und so konnte, wer heute noch ihr Gott war, morgen bereits der Teufel sein, dem man in Votivtäfelchen im eigentichen Sinn des Wortes Hals- und Beinbruch wünschte. Und auch wenn „Fangewalt“ offenbar noch nicht das ganz grosse Thema war: Schlägereien auf den Rängen zwischen Anhängern der einen und Anhängern der andern Farbe scheint es schon im alten Rom gegeben zu haben.
Auch die politische Seite der Rennen werden von Weeber angesprochen, der dabei sofort das weit verbreitete Schlagwort der panem et circenses (Brot und Spiele) relativiert. Ganz so berechnend waren die römischen Politiker doch nicht; ganz so verblödet war auch das Publikum nicht. Aber ja: In gewisser Weise bezog das römische Volk in den Wagenrennen (und in den Gladiatorenkämpfen – aber die sind das Thema Weebers nicht), die es gratis besuchen durfte, die Zinsen aus den Investitionen, die es in die zunehmende Ausdehnung des Römischen Reichs tätigte.
Es fällt auf, dass zeitgenössische Berichte über die Wagenrennen selten sind; und wenn sie existieren, stammen sie meist von Gegnern dieser Unterhaltung. Da sind Gegner aus Überzeugung wie Tertullian; Spötter wie Juvenal, Martial oder Petron; welche, die die Rennen eher am Rande streifen und ‚wissenschaftlich‘ behandeln, wie die beiden Plinii; ähnlich die Historiker (Tacitus oder Cassius Dio, um nur zwei Beispiele zu nennen); und natürlich darf auch Ovid nicht fehlen, für den Rennen in seiner Liebeskunst vor allem eine grossartige Gelegenheit sind, wo Männlein und Weiblein miteinander anbandeln konnten. Die Fans hört bzw. liest man fast nur in den Votivtäfelchen, mit denen sie den Lenkern und den Pferden der gegnerischen Farben alles Böse wünschten.
Man findet vieles in diesem Büchlein: Informationen zu den Renngesellschaften, den von den Wagenrennen ‚angefressenen‘ Kaiser, dem Aufbau des Circus Maximus, den vergötterten Wagenlenkern und Pferden, den Verpflegungsmöglichkeiten rund um den Circus Maximus (inkl. den Bordellen!): ein kleines und klug gemachtes Panoptikum.
Karl-Wilhelm Weeber: Circus Maximus. Wagenrennen im antiken Rom. Darmstadt: Primus Verlag, 2010.