Ovid: Liebeskunst

Ovids Liebeskunst muss ich wohl nicht speziell vorstellen: Drei Bücher sind es; im ersten erklärt Ovid den Männern, wo und wie sie am besten Frauen und Mädchen finden, die bereit sind zu flirten (und mehr), im zweiten, wie sie die einmal eroberten Damen zu einem festen und länger dauernden Liebesverhältnis bringen; im dritten schliesslich, dem längsten, wird beides auch den Frauen beigebracht. Die Liebeskunst, der Ovid später eine Mitschuld an seiner Verbannung geben wird, obwohl nicht ganz klar ist, warum: Das Werk war etwa acht Jahre vor Ovids Verbannung erschienen und offenbar zumindest bis zu diesem Zeitpunkt in Rom und in den Provinzen frei erhältlich. Vielleicht war das Werk auch nur ein weiterer Vorwand des sittenstrengen Augustus, der gerade zu jener Zeit ein sehr konservatives Eherecht erlassen hatte, das z.B. jede Form von Ehebruch unter drakonische Strafen stellte. Zwar sagt Ovid in der Liebeskunst immer wieder, seine Ratschläge richteten sich nur an Unverheiratete, aber ebenso oft vergisst er es und formuliert so, dass auch Verheiratete „lernen“ können, wie sie Gatte oder Gattin hintergehen.

„Lernen“ in Anführungszeichen, denn – und darauf weisen die Herausgeber immer wieder hin – Ovids Ratschläge sind meist sehr allgemein und oft in sich widersprüchlich. Aus Ovids Liebesratgeber kann der Schüler eigentlich nur den Schluss ziehen, dass er die Tricks, die ihm verraten werden, situativ anzuwenden hat: je nach Frau (oder Mann), je nach Ort, je nach Stimmung ist der eine oder der andere Trick besser. Ebenfalls grossen Wert legen die Herausgeber auf die Tatsache, dass in puncto Lieben und ‚Anmachen‘ Mann und Frau gleichberechtigt sind. Er verurteilt jede Form von Gewalt – ausser sie sei sozusagen spielerischer Teil des Balzverhaltens. Der Tatsache, dass so eine Ausnahmeregelung problematisch ist, ist sich Ovid bewusst, und so rät er auch, im Zweifel jede Form von Gewalt sein zu lassen. Ohnehin ist die Liebeskunst eher eine hohe Schule der Rhetorik, denn ein Verhaltensratgeber.

Wer übrigens – und diese Bemerkung sei doch gemacht für alle, die die Liebeskunst doch nicht kennen – wer also Pornografie oder auch nur explizitere Beschreibungen von diesem Werk erwartet, wird enttäuscht werden. Anders als ein Catull oder ein Tibull verzichtet Ovid darauf. Ovid ist der urbane Geniesser, der auch zu schweigen versteht.

Ovids Liebeskunst braucht also nicht weiter vorgestellt zu werden. Vorgestellt werden muss aber sicher die Ausgabe, die ich gelesen habe: Ovid: Liebeskunst. In der Übersetzung von Hertzberg / Burger, überarbeitet und reich kommentiert von Tobias Roth, Asmus Trautsch und Melanie Möller. Berlin: Galiani, 2017 [bzw. die Lizenzausgabe der Büchergilde Gutenberg]. Daran ist nicht die Übersetzung besonders – Herzbergs Übersetzung ist, auch wenn sie überarbeitet wurde, schon rund 100 Jahre alt. Bemerkenswert ist der tatsächlich reiche Kommentar und die Gestaltung im Allgemeinen. Denn reich meint hier „reich“: Wir haben auf jeder Seite 3 bis 5 Zeilen der Liebeskunst, in roter Farbe gedruckt, umrahmt (und das im wahrsten Sinne des Wortes) von den zweispaltig gesetzten und schwarz angedruckten Kommentaren. Diese erklären Ovids Anspielungen, z.B. die von Ovid reichlich zitierten antiken Liebesgeschichten und diverse römische Gebräuche ebenso, wie die literaturgeschichtlichen Verästelungen und Einflüsse, die der Text sowohl selber aufweist (Sappho, Parthenios von Nicaea, Catull, Tibull, Properz – auch die antike Komödie mit Menander, Plautus und Terenz), wie ausgeübt hat. Vor allem Renaissance und Humanismus haben sich bei Ovid gern und oft bedient. Abgesehen davon, dass in der Renaissance auch jene Ausgabe erschienen ist, die in ihrer Gestaltung Vorbild der meinen gewesen ist: reichlich Kommentar, farblich abgesetzter Originaltext. Doch die Herausgeber können auch, oft ironisch, manchmal zynisch-lakonisch, bis ins 21. Jahrhundert gehen, z.B., wenn eine der vielen griechischen Inseln, die Ovid im Rahmen seiner Nacherzählung des Dädalus-Mythos nennt, als heute von Flüchtlingen aus Afrika überschwemmt genannt wird.

Fussnoten, die zum eigentlichen Text werden und eine ganze Kultur- und Mythengeschichte liefern, dazu eine extravagante und gut gemachte Gestaltung: Wer so etwas liebt, sollte sich die Galiani-Ausgabe nicht entgehen lassen. Und, ach ja: Ovid zu lesen, ist natürlich ein Genuss für sich …

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