Karl Philipp Moritz: Reisen eines Deutschen in Italien in den Jahren 1786 bis 1788

Karl Philipp Moritz bereiste Italien praktisch gleichzeitig mit Goethe. Sein Bericht über diese Reise erschien allerdings um einiges früher – und ist auch etwas ganz anderes. Moritz bereist Italien mit der wachen Neugier eines echten Weltenbummlers. Sein Reisebericht hat die Form einer Sammlung von fiktiven Briefen an einen ebenso fiktiven Freund. Nur schon dadurch erzielt Moritz eine Lebendigkeit der Darstellung, die der Goethes völlig abgeht. Allerdings vernachlässigt Moritz im Lauf des Werks diese Fiktion zusehends. Seine Eindrücke werden zu kleinen, essaystischen Vignetten, die einen eigenen Titel tragen – ohne dass ein Datum oder eine Anrede noch einen Brief suggerieren würden.

Moritz beschreibt Land und Leute. Vor allem die Menschen interessieren ihn – als Menschen, nicht als Staffage vor einem kunsthistorischen Hintergrund. Die Art und Weise, in der damals Italien mit den sog. „Vetturini“ bereist wurde, der Charakter dieser ‚Mietkutscher + integrierter Führer‘, aber auch die Ängste und Zurückhaltungen des Reisenden Moritz werden uns vom Autor lebendig vor die Augen gestellt. Oder seine Unterkunft in Rom – mit herrlicher Aussicht, aber leider einem „Sbirren“ als Nachbarn, einem Mitglied der Geheimpolizei des Vatikan, die meist mindestens so grosse Spitzbuben waren, wie die, die sie erhaschen sollten, so dass Moritz die Nacht wach im Zimmer verbringt, die Pistole des Sbirren, die er in seinem Zimmer gefunden hat, im Anschlag. Moritz‘ „Briefe“ sind oft kleine Charaktervignetten, wie sie noch heute dem Feuilleton jeder guten Zeitung wohl anstehen würden, und wie sie von den deutschen Reiseschriftstellern vielleicht erst Richard Katz wieder gelungen sind.

Politisch nimmt Moritz kein Blatt vor den Mund. Dass dem pietistisch erzogenen Deutschen der Katholizismus als solches schon spanisch vorkommen musste, ist klar. Aber Moritz stellt immer wieder den frappanten Unterschied heraus zwischen dem Glanz und dem Pomp der Rom beherrschenden Kurie und der Armut der Bevölkerung. Einer Armut, die in den Augen des Betrachters allerdings dadurch gemindert wird, dass das Volk sie offenbar in grosser Fröhlichkeit erträgt. Moritz bereist und bewundert auch San Marino, das kleine Land, ganz vom grossen Vatikan-Staat umschlossen, das tapfer seine Selbständigkeit und seine republikanischen Strukturen aufrecht erhält.

Dabei reiste Moritz nicht um des Reisens oder der Politik willen. Er war wohl der erste Deutsche, der Italien ernsthaft in Winckelmanns Fussstapfen betrat – mit dem erklärten Ziel, sich eine (kunsthistorische) Bildung vor Ort anhand der Originalstatuen und -gemälde anzueignen. Der grösste Teil der deutschen Kolonie in Rom bestand ja aus Malern und Bildhauern, die „nur“ gekommen waren, den Antiken und den Italienern ihre Tricks und Kniffe abzuschauen. Selbstverständlich: Goethe war auch da, und bekanntlich trifft ihn Moritz. Allerdings taucht sein Idol im Reisebericht kaum auf, auch Moritz‘ gebrochener Arm wird fast nebenbei erwähnt.

Wie schon gesagt, treten im Laufe der drei Bücher, aus denen Moritz‘ Bericht in der ersten Auflage (1792-1793 bei Friedrich Maurer in Berlin) besteht, das Reisen, Land und Leute in den Hintergrund. Moritz hält sich vorwiegend in Rom auf, mit einem längeren Abstecher nur nach Neapel. Im Gegensatz zu Goethe oder Hehn, den beiden andern grossen deutschen Italien-Reisenden, hat er Sizilien nie besucht. Moritz konzentriert sich auf Rom, auf die Kunst in Rom. Zusehends erlebt und beschreibt Moritz das Rom der Gegenwart nur als Folie für ein Rom der Vergangenheit. Da ist die Antike, und da sind die grossen italienischen Maler, Bildhauer und Architekten der Renaissance: Leonardos oder Raffaels Gemälde, aber auch der Petersdom, werden im Detail beschrieben und analysiert. Vor allem die Analyse wird zusehends wichtiger. Noch als Eindrücke eines Reisenden verkleidet, tauchen die ersten Grundsteine von Moritz‘ Ästhetik auf. Nicht nur, dass Moritz ganz eindeutig „übte“ für die in Aussicht stehende Professur der Theorie der schönen Künste an der Königlichen Akademie der Künste in Berlin (die er nach seiner Rückkehr auch erhalten sollte). Moritz entwickelte bei seinem Aufenthalt in Rom eine eigenständige Kunsttheorie, in Abgrenzung zu derjenigen Winckelmanns – eine Kunsttheorie, in der die jeweils individuelle Rezeption eines Kunstwerks im Mittelpunkt steht, und mit der Moritz auch die Weimarer Klassiker beeinflussen sollte. Beispiel gefällig?

Bei großen Gegenständen findet die Seele selbst an der Einförmigkeit Wohlgefallen, – wie aus dem Anblick der blauen Himmelswölbung, der unendlichen Meeresfläche und eines Säulenganges, der selbst durch seine Fortdauer, wo sich doch immer wieder dieselbigen Gegenstände dem Auge darbieten, ergötzt, und wo es einen majestätischen Eindruck macht, je weniger man gleichsam das Ende davon absieht. –

[…]

Von den kleinern Gegenständen erfüllt das Einzelne die Seele nicht ganz, daher ist ihr die Abwechslung nicht zuwider, sondern angenehm, weil sie immer noch Raum genug für neue Begriffe hat. – (S. 406 meiner Ausgabe, s.u.)

Zu meiner Ausgabe

Ich habe Moritz‘ Reisebericht in der kürzlich in der Anderen Bibliothek erschienen Ausgabe von 2012 oder 2013 gelesen. Der Text ist in der Original-Orthographie der Ausgabe des 18. Jahrhunderts wiedergegeben – allerdings frage ich mich, ob der eine oder andere Zeilenumbruch (= Absatz) mitten in einem Satz tatsächlich im Original so vorgekommen ist. Illustriert wurde der Band mit Fotografien von Alexander Paul Englert. Abgesehen davon, dass ich seit der Existenz der Anderen Bibliothek nicht verstehe, warum man den Bänden keinen anständigen Schuber spendiert, sondern sie in eine seltsame Karton-Bauchbinde wickelt, deren sich die billigste Zigarre schämen würde, und in die das Buch nach der Lektüre zurück zu praktizieren, einer Geschicklichkeits-Übung grösseren Ausmasses gleich kommt: Diese Fotografien sind – mit Verlaub – komplett überflüssig. Sie stellen (meist) dieselben Orte im Jahre 2012 dar, die Moritz über 200 Jahre früher besucht hat. Ein Einfall, den ich bei einem ähnlichen Werk schon als Student gehabt habe – und als billigen Klamauk verworfen. Die Fotografien sind alle schwarz-weiss. Was an ihnen künstlerisch sein soll, erschliesst sich mir nicht – es sei denn, dass der offenbar stattgehabte extensive Einsatz eines Gelbfilters heutzutage, wo man weder schwarz-weiss mehr fotografiert, noch überhaupt weiss, was ein Gelbfilter sein könnte, weil man den ja an kein Smartphone schrauben kann, es sei denn also, dies sei ein Zeichen für künstlerische Gestaltung. Lieber hätte ich die originalen Kupfertafeln reproduziert gesehen. Schade, dass man ausgerechnet das grosse Werk eines grossen Kunsttheoretikers künstlerisch verunstaltet hat…

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