Catherine Gore: Der Geldverleiher. Übersetzt von Theodor Fontane. Das im Fontane Archiv Potsdam aufbewahrte Typoskript wurde von Iwan-Michelangelo D’Aprile editiert und mit einer Einleitung versehen. Berlin: Die Andere Bibliothek, 2021. (= Band 441)
Catherine Gore war zu ihrer Zeit (sie lebte von 1799 bis 1861) eine in Großbritannien ziemlich bekannte Autorin. Sie schrieb insgesamt etwa 70 Romane und trug damit nicht unbeträchtlich zum Familieneinkommen bei. Während Werke von ihr im englischen Sprachraum von Zeit zu Zeit immer noch neu aufgelegt werden, blieb sie im deutschen Sprachraum praktisch unbekannt. In Großbritannien war sie damals die bekannteste der so genannten silver fork writers, der Verfasserinnen (es waren meist Frauen) von Romanen über silberne Essgabeln – sprich über fiktive und reale Ereignisse und Skandale in der Schicht des Hochadels und der Hochfinanz. Die ursprünglich spöttisch gemeinte Bezeichnung für diese Art von Literatur rührte von da her, dass in solchen Romanen die Trink- und Essgelage der High Society ausführlichst geschildert wurden. Zwar: Wenn ich mir anschaue, was auch die als raffiniertesten Kenner bezeichneten Herren im Geldverleiher in punkto Wein für Meinungen vertreten, muss ich sagen, dass ich die Raffinesse der britischen Débauchés (oder aber der Autorin) für nicht sehr groß halte – kaum, dass ein Rheinwein von einem Sauternes unterschieden wird. Eine andere, spöttische Definition der silver fork novels weist darauf hin, dass die Leserinnen meist Gattinnen von aufstrebenden Handwerkern und Kaufleuten waren, die durch diese Roman lernten, wie das Essbesteck in der feinen Gesellschaft gehandhabt werden sollte. Wir stehen ja mit Catherine Gore am Anfang des viktorianischen Zeitalters – jener Epoche, in der haufenweise Geld und Güter aus den Kolonien nach Großbritannien flossen, wovon auch und gerade der bisherige Mittelstand profitierte. (Eine Epoche, die ganz offensichtlich noch im 21. Jahrhundert in den Köpfen vieler Briten und Britinnen spukte, als sie für den so genannten Brexit votierten. Aber die große Zeit Britanniens endete zwar nicht ganz mit Königin Viktoria, aber eben doch mit dem Ersten Weltkrieg.)
Wir haben es oben schon verraten: Auch Der Geldverleiher ist, zumindest partiell, eine silber fork novel. Der Protagonist, Basil Annesley, ist ein junger Adliger, der zum Zeitpunkt des Geschehens des Romans als Offizier Dienst in der Garde von London tut. Allerdings sind seine dienstlichen Verpflichtungen offenbar nicht sehr hart: Er hat jede Menge Zeit, mit Freunden und Bekannten zu dinieren oder in London herumzustrolchen. Fast alle seine Freunde sind von Adel, teilweise auch vom Hochadel. Nur ein deutscher Maler, in dessen Tochter er sich verliebt hat, ist ganz eindeutig ohne Geld.
Und dann ist da noch Abednego Osalez. Die Erzählstimme folgt zwar praktisch durchgehend den Tagen und Nächten von Basil Annesley, aber in Tat und Wahrheit ist Abednego Osalez die Hauptperson des Roman (wie es ja schon der Originaltitel suggeriert). Enkel eines aus Glaubens- und Gewissensgründen (und nicht um des Geschäftes Willen – darauf legt Abednego Wert, als er endlich die Geschichte seiner Familie erzählt!) zum Christentum konvertierten Juden, wird er doch den Fluch, der auf dem Judentum seiner Vorfahren lastet, nicht los. Er gilt trotz christlichen Glaubens als ‚Jude‘ und wird entsprechend behandelt und diskriminiert. Sein angebliches Judentum entfremdet ihn auch seiner christlichen Geliebten. Der Roman setzt ein, als A. O. (wie er von seinen Gläubigern genannt wird) ein in ganz London bekannter und verhasster Jude ist, zu dem doch alle rennen, wenn sie in Geldnöten sind. Und das sind praktisch alle der High Society. Osalez ist zum Zeitpunkt, als der Roman einsetzt, alt geworden und sein Herz hat sich verhärtet.
Gore erzählt grosso modo im Stil der Gothic Novel, wie sich die Geheimnisse nicht nur um den alten „Juden“, sondern auch in Annesleys Familie auflösen. Im Stil der Gothic Novel, will sagen: Es gibt viele Geheimnisse und Andeutungen; geheimnisvolle Bücher, die natürlich in falsche Hände geraten; Erklärungen von Handelnden, die natürlich nicht sofort gegeben werden können, weil sonst der Roman schon nach 60 Seiten zu Ende wäre etc. etc. etc.
Der Roman erschien 1843 in Fortsetzungen in einer schottischen Zeitschrift und verrät noch immer (zum Beispiel in den größeren oder kleineren Cliff Hangers am Ende der jeweils recht kurzen Kapitel) diese Herkunft. Er verrät aber auch eine routinierte Autorin (immerhin hatte sie zu dem Zeitpunkt schon 20 Jahre als Schriftstellerin gewirkt!). Er ist auch heute noch durchaus lesbar – vor allem in seinem Plädoyer gegen den Antisemitismus und die Xenophobie in Großbritannien (die Gore damals vor allem in der High Society festmachen durfte).
Dass der Roman in der Anderen Bibliothek erschien, hat er aber nicht seiner Autorin und nicht seiner Qualität zu verdanken, sondern seinem Übersetzer. Der Herausgeber D’Aprile ist vor kurzem erst mit einer Fontane-Biografie ans Licht der Öffentlichkeit getreten, und so konzentriert sich seine Einleitung vor allem auf Fontane. Sie lobt die Übersetzer- Kunst des Apotheker-Lehrlings (der Fontane zur Zeit seiner Arbeit am Geldverleiher noch war). Nun kann man darüber streiten, ob es Zeichen einer guten Übersetzung ist, wenn Fontane zum Beispiel die englischen Garde-Offiziere jeden zweiten Satz mit Auf Ehre! beginnen lässt und sie so zu preussischen Kavallerie-Hengsten macht, aber es verrät immerhin, dass schon der junge Fontane auf der Suche nach einer eigenen Sprache war. Allerdings würde ich hier die Betonung denn doch noch auf die Suche legen – stilistisch ist Fontane hier noch weit weg von seinen großen Romanen. Auch habe ich den Verdacht, dass D’Aprile Gores Roman ein bisschen schön redet – immerhin kann der große Fontane doch keine Trivialliteratur übersetzt haben! (Hat er aber – wenn auch gute.) Aus diesem Geist resultiert vielleicht auch der Vergleich mit Alexandre Dumas‘ Graf von Monte Christo und Eugène Sues Geheimnissen von Paris, nur um feststellen zu müssen, dass wir hier keine Einflüsse vor uns haben (alle diese Werke erschienen ungefähr zur gleichen Zeit). Dass wir für alle drei vielmehr in der englischen Gothic Novel nach Vorbildern suchen müssten, bei Horace Walpoles Schloss von Otranto nachlesen müssten, bei Ann Radcliffes Udolpho, bei Matthew Gregory Lewis‘ Mönch oder dem nur wenig mehr als 20 Jahre zuvor erschienenen Melmoth von Charles Robert Maturin, sowie wahrscheinlich noch bei viel trivialeren Werken – davon ist bei D’Aprile keine Rede.
Dennoch war’s eine vergnügliche Lektüre. Nur eine Bitte hätte ich an die Andere Bibliothek: Der Text wurde vom Typoskript ganz offensichtlich mittels einer OCR-Engine eingelesen. Falsche Wortzusammensetzungen oder sinnlose Buchstaben in Wörtern sind typisch dafür. Man sollte in solchen Fällen doppelt aufmerksam Korrektur lesen. Immerhin hatte die Andere Bibliothek mal einen guten Ruf.