J. G. Ballard: The Drowned World [Paradiese der Sonne / auch: Karneval der Alligatoren]

London, in einer nicht allzu fernen Zukunft. Erhöhte Sonnenaktivität hat dazu geführt, dass sich die Erde in kürzester Zeit um ein Beträchtliches erwärmt hat. Die Polkappen sind geschmolzen; wo vor kurzem noch London war, befindet sich nun eine riesige Lagune, die nur noch von Fledermäusen, Alligatoren und Leguanen bewohnt ist, und an deren Ufern Farne und andere tropische Gewächse stehen. Dr. Keran ist Mitglied eines Forschungsteams, das diese rapiden Veränderungen studieren und dokumentieren soll. Doch schon wird es zu heiss in dieser Lagune, und das Forschungsteam erhält den Befehl, in die Basisstation in Nordgrönland zurück zu kehren. Zusammen mit drei anderen widersetzt sich Dr. Keran diesem Befehl und bleibt zurück. Doch schon bald erscheinen andere Menschen – eine Gruppe von Schatzsuchern, Piraten, Plünderern. Die zurück gebliebenen Forscher kämpfen um ihr Leben – und um den Erhalt der Lagune.

Was in dieser (absichtlich so gesteuerten) Zusammenfassung klingt wie ein klassisches Science-Fiction-Szenario, hat in Tat und Wahrheit wenig mit klassischer Science Fiction zu tun, auch wenn sich der Roman normalerweise als Science Fiction abgelegt findet. Ausser der Tatsache, dass London unter Wasser steht, sehen wir kein einziges SF-Element in dieser Story. Die verwendeten Waffen sind Gewehre und Pistolen, wie sie schon die 1960er kannten (der Roman erschien 1962 auf Englisch). Die überlebenden Menschen leben in Gebäuden, die aus dem Wasser der Lagune ragen – in klimatisierten Räumen, deren Klimaanlage durch Notstromaggregate betrieben wird, die wiederum Dieselöl verwenden. Es handelt sich schon gar nicht um Öko-SF, wie man es mit wenig Aufwand z.B. in Dune hinein interpretieren kann. Denn an der Erderwärmung ist die Menschheit absolut unschuldig. Der Begriff ‘Dystopie’ fasst die Sache auch nicht ganz; zu keinem Zeitpunkt wird eine gesellschaftliche Institution errichtet oder zerstört.

Ballard hat sich und sein Werk selber eher in der Nähe des Surrealismus gesehen – und er hat damit so Unrecht nicht. Die Natur, die er schildert, wirkt beängstigend real – und dies, obwohl er sie eigentlich recht vage beschreibt. Am Beänstigendsten sind aber die Träume, die Dr. Keran und die übrigen veranlassen, an der Lagune, die einmal London war, zurück zu bleiben. Es ist weniger ein bestimmter Inhalt als archaische Sehnsüchte, die diese Träume wecken. (Man entschuldige den Widerspruch in diesem Bild!) Der Sog, den diese ins Paläozoikum revertierende Natur auf die Menshen ausübt, ist unwiderstehlich. Der einzige Drang, den Dr. Keran am Schluss des Romans noch verspürt, ist der, in den Süden aufzubrechen, in noch heissere Gefilde. Selbst die Bande von Plünderern, die bei ihrem ersten Erscheinen noch als Menschen mit relativ normalen Wünschen dargestellt wird, kann sich dem Sog nicht entziehen. In einer Art primitiven Rituals wird Dr. Keran zu ihrem König Alligator gekürt – eine Prozedur, an der er fast zu Grunde geht, und die an Erzählungen erinnert von Qualen, die alte indigene Völker ihren Feinden zufügten. Diese Träume vor allem bestätigen Ballards Ausrichtung am Surrealismus, haben sich doch auch die Surrealisten gern an Träumen und an den Resultaten der damaligen Psychoanalyse ausgerichtet. Es springt ja ins Auge: C. G. Jungs archetypische Vorstellungen haben viel zu Ballards Konzept beigetragen.

Kein Buch für den Liebhaber klassischer Science Fiction. Wer aber Schilderungen seltsamer Landschaften liebt, wird (z.B.) die eines Spaziergangs im für kurze Zeit trocken gelegten London mögen: Alligatoren, die noch in kleineren Pfützen hausen, bedrohen die Menschen; daneben ringen Seesterne oder Unterwasserpflanzen mit dem Tod durch Austrocknen. In den Strassenkreuzungen brennen die Piraten Feuer an, um die Fledermäuse fernzuhalten – eine faszinierend seltsame Mischung.

 

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