Hemingway war stolz darauf, als seine Stories an Parkers The Big Blonde von 1929 gemessen wurden. Was Dorothy Parker dazu sagte, weiss ich nicht. Die beiden, Parker und Hemingway, waren zwar – trotz unterschiedlicher Meinung, die Stellung der Frau betreffend – befreundet; aber Dorothy war berüchtigt dafür, dass ihre spitze Zunge auch Freunde nicht verschonte, die ihr gerade den Rücken zudrehten. Der Vergleich von Parker mit Hemingway wird so sinngemäss auch in der ZEIT durchgeführt, jedenfalls wird diese Zeitung folgendermassen auf dem hinteren Buchdeckel meiner Ausgabe1) zitiert:
Hemingway hat nicht besser geschrieben, nur mehr.
US-amerikanische Short Stories scheinen im deutschen Sprachraum unheilbar mit Ernest Hemingway identifiziert zu werden. Das ist schade, denn Parker ist anderes als Hemingway. Und mehr.
Das auf Deutsch als New Yorker Geschichten betitelte Buch enthält rund 30 Short Stories der Autorin, ohne weitere Informationen zu Erst-Erscheinungstermin, ohne erkenntliche Sortierung (chronologisch nach Erscheinungstermin?), ohne jedwelchen Apparat überhaupt. Das mag den üblichen Leser nicht stören (hätte mich vor 20 oder 30 Jahren auch noch nicht gestört); hier und heute bedaure ich so etwas. Auch wenn ziemlich sicher Dorothy Parker die Auswahl selbst verantwortet hat: Ein paar substantielle Informationen mehr wären zu wünschen.
Die oben bereits erwähnte Short Story The Big Blonde ist in den New Yorker Geschichten enthalten. Sie ist gut, sehr gut, und sie ist vor allem auch typisch für die meisten hier enthaltenen Geschichten. Ob alle Geschichten in New York spielen, wird nicht klar; bei den meisten kann man indirekt darauf schliessen, dass sie es tun. Denn in den meisten wird eine Gesellschaftsschicht beschrieben, die in dieser Art und Weise wohl typisch fürs New York der 1920er und 1930er war: Jene Leute, die gerne ‚Upper Class‘ gewesen wären, eigentlich nicht einmal ‚Upper Middle Class‘ darstellten, dies aber heftigst dadurch kaschierten, dass sie sich teure Häuser oder Wohnungen in der Stadt leisteten, ein oder zwei ständige Bedienstete sowie Zugehpersonal hielten, und vor allem von einer Party zur nächsten rasten. Die meisten Männer sind Angestellte, dem mittleren bis vielleicht ganz knapp oberen Kader zuzuordnen; die Frauen lassen sich von den Männern aushalten – entweder als rechtmässige Gattinnen oder als temporäre Geliebte. Es sind vor allem diese Frauen, auf die sich Dorothy Parker konzentriert. Obwohl Parker meist, ja immer, auktorial erzählt, folgen wir den Gedanken und Gefühlen ihrer Protagonistinnen sehr nahe. Davon haben sie zwar sehr wenig, sie denken vor allem an ihren sozialen Status und an die Probleme, die daraus resultieren, dass sie sich mit ihren ein oder zwei Dienstboten herumschlagen müssen. Und an die Männer – alles konzentriert sich für sie ums männliche Geschlecht. Je nun, sie hingen völlig davon ab. Die paar Male, bei denen Parker dieses Thema verlässt, um zum Beispiel Frauen aus der schwarzen Unterschicht zu beschreiben, gelingen ihr nicht so gut. Diese Charaktere geraten etwas hölzern, absichtlich oder nicht werden sie zur Karikatur und / oder die Geschichte wird sentimental.
Denn das ist die grosse Stärke von Parker (und etwas, das sie weit über Hemingway hinaus hebt): Parkers Frauen werden mit (manchmal beissender) Ironie geschildert. Ihre spitze Zunge verlässt sie auch hier nicht, wo sie Gestalten schildert, wie sie sie täglich bei den Partys, die sie selber besuchte oder gab, angetroffen haben muss. Sie schildert ihre Gestalten so gut, dass der Leser irgendwann realisiert, dass sie hier immer auch sich selber, eigene Gefühle und Gedanken, schildert. Diese Frauen werden von ihren Männern zu Objekten degradiert – nicht einmal unbedingt Sexualobjekten (das unter Umständen auch), aber zu dekorativen Bestandteilen ihrer Wohnungseinrichtung. Und sie können aus ihrem (mehr oder minder) goldenen Käfig nicht ausbrechen, weil ihnen der Gedanke daran, dass so etwas möglich sein könnte, gar nicht erst kommt. Letztlich sind beide, Männlein wie Weiblein, in den Anschauungen ihrer Schicht gefangen.
Diese beissende Ironie ist jederzeit verbunden mit einem spürbaren Mitgefühl. Ironie und Mitgefühl sind es denn auch, die Dorothy Parker um Meilen von Hemingway trennen. Verbunden mit einem bedeutend lebhafteren und dennoch präzise sezierenden Stil machen sie Dorothy Parkers Short Stories zu dem Genuss, den Hemingways hätten sein sollen und nie sein konnten. Man sollte sich von den Vergleichen mit Hemingway also nicht in die Irre führen lassen, und Dorothy Parker trotzdem lesen. Man wird sich dafür belohnt finden.
1)Dorothy Parker: New Yorker Geschichten. Aus dem Amerikanischen von Pieke Biermann und Ursula-Maria Mössner. Zürich: Kein & Aber, 22017
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