Vor sechs Jahren habe ich hier das Buch New Yorker Geschichten von Dorothy Parker vorgestellt. Damals bedauerte ich, dass den Texten keinerlei Hinweis beigegeben wurde, in welchem Originalband welche Geschichte erschienen war. Der einzige Hinweis (dass es sich um die Übersetzung der von Parker noch selber zusammen gestellten Sammlung The Portable Dorothy Parker handelte) genügt da bei weitem nicht. Bei meiner Vorstellung ihrer Liebesgedichte wiederum (denn mein herz ist frisch gebrochen) fand ich schade, dass die ursprünglich zweisprachige Ausgabe von der Büchergilde zu einer einsprachigen verstümmelt worden war. Zwei Gründe also, die bereits 2019 bei der Folio Society erschienene englischsprachige Auswahl The Best of Dorothy Parker zu bestellen, zumal es sich bei genauerem Hinschauen hierbei um eine Neuausgabe der „tragbaren Dorothy“ handelt. (Und ja: In dieser Ausgabe finde ich auch den Verweis auf die Erstveröffentlichung einer jeden Geschichte.)
Insofern ist es nun aber natürlich schwierig für mich, meinen genannten beiden Aperçus noch Neues hinzuzufügen. Der vorliegende Band enthält die besten Gedichte Parkers ebenso wie ihre besten Kurzgeschichten. Einige Gedichte grenzen an die Nonsens-Lyrik englischer Provenienz, so wenn sie eine völlig sinnlose Literaturgeschichte in Versen vorträgt, bei denen einzig wichtig ist, dass sich der Name des Autors reimt mit einem möglichst sinnlosen Wort. Es gibt auch Seriöseres, und ihre Gedichte werden von den Herausgebern meiner Ausgabe mit denen A. E. Housmans verglichen, was mit der Feststellung der deutschen Ausgabe übereinstimmt, dass Parker formal sehr zurückhaltend, ja konservativ dichtete. Dann aber fällt auf, dass unter den Namen, die sie zitiert, auch einige der ausgefalleneren, „schlimmen“ Dichter und Dichterinnen figurieren: Catull und Sappho in der Antike, Byron, Wilde, Sand oder Les fleurs du mal in der Moderne (ihrer Moderen). Ein Kokettieren mit einem schlechten Ruf sogar in der Lyrik …
Hauptthema der Kurzgeschichten ist, wie auch schon gesagt, das Verhältnis von Mann und Frau. Deren Beziehungen sind oft, was wir heute „toxisch“ nennen würden. So ist ihre berühmteste und längste Kurzgeschichte, Big Blonde, die Geschichte einer Frau, die in ihrer Ehe zur Alkoholikerin wird. Wenn Parker in diesen Fällen die Schuld eher beim Mann als bei der Frau sieht, so ist es doch nicht so, dass ihre Frauenfiguren reine Engel sind. Die weibliche Hauptperson von Big Blonde, eben diese (körperlich) große Blondine, nützt die Männer fast ebenso aus wie diese sie ausnützen. Der Unterschied ist, dass es den Männern bewusst zu sein scheint, was sie tun, während die Frau es unbewusst, fast instinktiv, tut. Und der ganz große Unterschied ist, dass die Frau, angeekelt von ihrem Leben, sich eines Tages einige Packungen Veronal kauft und alle Tabletten schluckt. Dummerweise findet ihre schwarze Zugehfrau sie noch rechtzeitig, und man pumpt ihr den Magen aus. Die Frau tröstet sich über ihren Misserfolg mit einem großen Glas Whisky. (Wobei wir davon ausgehen müssen, dass, was da als ‚Whisky‘ bezeichnet wird, wohl eher billig hergestellter Fusel war. Dorothy Parkers große Zeit als Autorin, zugleich die Zeit, in der ihre Geschichten und Gedichte handeln, war die Zeit der Prohibition in den USA. Mehr noch als Fitzgeralds Great Gatsby könnte man sie zur Ikone der Prohibition ernennen.)
À propos ‚schwarze Zugehfrau‘: Die einzigen, die Parker von ihrer beißenden Ironie verschont, sind tatsächlich die Schwarzen. Wo sie pejorative Wörter für sie verwendet, ist es aus dem Mund von Weißen, deren eigener Ruf selber nicht der beste ist. Die einzige in die Sammlung aufgenommene Geschichte allerdings, in der eine schwarze Mutter und ihr Sohn die Hauptrolle spielen, ist leider so offensichtlich zur gesellschaftskritischen Parabel geraten, dass sie schon fast kitschig ist. Parker plädiert mehr und besser für die Gleichstellung der Farbigen, wenn diese scheinbare Nebenfiguren im Leben arroganter Weißer darstellen.
Ansonsten kann ich nur wiederholen, was ich schon zwei Mal gesagt habe: Lest Parker! Es wird sich lohnen.