Stellt sich die Frage, ob es da so viel zu entdecken gab, gibt. Wir befinden uns in den 60er Jahren, die Nationalsozialisten haben den Zweiten Weltkrieg gewonnen (durch den Einsatz von Atomwaffen, denen u. a. London zum Opfer fiel), ihre ideologischen und rassischen Ziele wurden in der halben Welt (von der Mongolei bis einschließlich Nordamerika) großteils durchgesetzt. Eine Herrenrasse herrscht über dieses Reich, in den Weiten Russlands wurde das von Hitler erträumte System von Wehrburgen installiert, Nichtarier werden als Arbeitskräfte, medizinische Versuchsobjekte und dergleichen eingesetzt. Hauptfigur ist der professionelle „Strahlungsspürer“ Albin Totila Höllriegl, ein aus der Ostmark stammender Nationalsozialist der ersten Stunde, der aus seinem eher geruhsamen Leben durch die Aufforderung, einem hohen Nazi-Bonzen seine Dienst angedeihen zu lassen, herausgerissen wird.
Parallel dazu kommt es zu innen- und außenpolitischen Krisen: Der Führer stirbt, die Japaner (die den Rest der Welt beherrschen) greifen das das nationalsozialistische Imperium an, in Deutschland kommt es zu einem Bürgerkrieg zwischen den „Werwölfen“ (denen die Ermordung des senilen und greisen Führers unterstellt wird – wahrscheinlich zu Recht) und dem Bundschuh, einer gemäßigteren Variante des Nationalsozialismus, die sich weiterhin auf Adolf Hitler berufen. In all diesen Wirrnissen reist Höllriegl nach Berlin, trifft dort auf einen geheimnisvollen, im Sterben liegenden Juden (der davon erzählt, dass die Macht nur durch ihn hatte übernommen werden können, durch seine Unterstützung und der einen eigentümlichen Stolz auf die Vernichtung seiner jüdischen Mitbürger bekundet: Jüdischer Selbsthass in extremis). Diese Ereignisse haben einen kafkaesken Anstrich (der diese Arbeit vermittelnde Beamte namens Hirnchristl scheint gar nicht zu existieren), Höllriegl reist weiter zu einem Philosophen namens Gundlfinger (eine offensichtliche Karikatur Heideggers, im übrigen kam der erste Anstoß zur Reise Höllriegls von einem Schriftsteller namens Arbogast von Schwerdtfeger, für dessen Figur Heimito von Doderer Pate gestanden hat), trifft auf in Höhlen verborgene Psychoanalytiker (die Gundlfinger zuarbeiten) und wird schließlich bei seinem Versuch, die in den Bürgerkriegswirren fast zu Tode gekommene Ulla von Eycke zu retten, durch die Atombombenangriffe der Japaner verstrahlt.
Die Welt versinkt in einem atomaren Chaos, Ulla und Höllriegl können sich in ein Lager retten, von dem aus die wertvolle arische Erbsubstanz in Lager irgendwo in der Antarktis gerettet werden soll. Doch schon auf dem Flug kommt es zu Schwierigkeiten, man muss notlanden und das von der Strahlung gezeichnete, ohnehin dem Tode geweihte Paar kommt bei einem Angriff ums Leben, wobei es sich im Falle Höllriegls um Selbstmord handelt: Die Sinnlosigkeit des ganzen Lebens erkennend tötet er den Anführer der Gruppe und schreitet im tiefen Schnee auf die Feindeslinien zu.
Der Vorhang fällt – und man bleibt ein wenig ratlos zurück. Manches ist gelungen, pointiert gezeichnet: Doderer und Heidegger sind gut getroffen, auch der ariosophisch-esoterische Galimathias vertreten durch Höllriegl und Sympathisanten reizt zum Lachen. Dazu dessen Verfallenheit gegenüber der arischen Walküre Ulla, seine von Unterwerfung gekennzeichnete Haltung, die aber im Grunde tief bürgerlich ist (als er mit Ullas Schwägerin ins Bett geht und diese den Akt dazu benutzt, sie heimlich von Freunden beobachten zu lassen, ist er zutiefst schockiert und erschüttert; diese Anselma ist eine Vertreterin des „Werwolfs“, deren Denken ausschließlich pragmatisch-machtpolitisch ausgerichtet ist und ihren Lüsten mit tiefer Überzeugung frönt), dazu einige gelungene Szenen, die den völligen moralischen Zerfall beim Untergang des Reiches beleuchten. Aber das alles bleibt ohne wirklichen Zusammenhang, wirkt wie frei assoziiert, willkürlich und scheint einzelnen Ideen Basils zu dienen (etwa den immer wieder auftauchenden, pornographisch angehauchten Abschnitten). Auch die Darstellung der Hitlerschen Machtphantasien (wie man sie etwa aus den „Tischgesprächen“ kennt) werden einzig mit ein wenig Grausamkeit und Brutalität angereichert, bleiben aber doch oberflächlich. Um auf die oben gestellte Frage zurückzukommen: Etwas Neues, gar literarisch Bedeutendes gibt es in diesem Buch nicht zu entdecken, es ist die Abschilderung jener kruden Phantasien durchsetzt von einer Liebes- (eher Sexual-)geschichte. Basil hat das nationalsozialistische Gedankengut wirklich werden lassen und mit eigenen Einfällen angereichert: Daraus wurde aber weder eine kritische, ideologische Auseinandersetzung noch ein stringenter, durchdachter Roman, der das Schreckensszenario eines nationalsozialistischen Sieges eindringlich darstellen würde. Das Buch muss den Vergleich mit dem Orakel vom Berge nicht scheuen, ein großer Wurf aber ist es dennoch nicht.
Otto Basil: Wenn das der Führer wüsste. Wien, München: Fritz Molden 1966.