Henry David Thoreau: Ktaadn

Ktaadn! – Was klingt wie ein klingonisches Schimpfwort ist der indianische Name für Mount Katahdin, der mit 1’606 m höchsten Erhebung im heutigen US-Bundesstaat Maine. Jetzt liegt Mount Katahdin im Zentrum des Baxter State Park, eines über 800 km2 grossen Naturschutzgebiets. Als ihn Thoreau 1846 erstieg, lag er an der Grenze dessen, was man allgemein „die menschliche Zivilisation“ nennt, ja eigentlich schon ausserhalb. Ausser vielleicht ein paar Eingeborenen (die ihn aber für die Sommerresidenz eines bösen Dämons hielten und deshalb einen Bogen um ihn machten) hatten nur ein paar Wenige (Weisse) Ktaadn vor Thoreau bestiegen, und einer der Gründe, warum er einen Bericht über den Ausflug veröffentlichte, war es auch, zukünftigen Wanderern eine genaue Wegbeschreibung von Bangor aus auf den Berg zu geben.

Das oben angegebene Reisejahr 1846 ist korrekt. Zwar hatte sich Thoreau am 4. Juli 1845, dem US-amerikanischen Unabhängigkeitstag, „in die Wälder“ zurückgezogen, um ein einfaches Leben von und mit der Natur zu führen. Dieses Leben sollte er während 2 Jahren, 2 Monaten und 2 Tagen führen. Was er in Walden, seinem Bericht darüber, verschweigt: Er verbrachte diese +2 Jahre nicht ununterbrochen am Ufer von Walden Pont. Da war der eine Tag, den er im Gefängnis sass, weil er seine Steuern nicht zahlen wollte. (Angeblich, wollte er den Krieg der USA gegen Mexiko nicht unterstützen. Seltsamerweise datierten seine Steuerschulden allerdings zurück in eine Zeit, als der Krieg noch gar nicht ausgebrochen war.) Und da war eben dieser Sommerausflug nach Maine, den er unmittelbar nach seiner Freilassung unternahm. (Jemand, vermutlich seine Tante, hatte die Steuern für ihn bezahlt.)

Ausgangspunkt der Reise ist das Städtchen Bangor in Maine. Heute ein kleines verschlafenes Städtchen am Ufer eines Flusses mit Meerzugang, war es zu Thoreaus Zeiten noch ein wichtiger Hafen, von dem aus vor allem Holz in die übrigen Teile des Bundesstaats Maine und die USA verschifft wurden. Bangor war ein Zentrum der Holzindustrie, mit Sägemühlen und all dem Lärm, den Industriebetriebe schon im 19. Jahrhundert mit sich brachten und den Thoreau entsprechend beklagt. Das Holz kam dabei aus dem riesigen und noch nicht von der Zivilisation erschlossenen Hinterland Bangors den Fluss Kenduskeag (noch so ein klingonisch klingender Name!) und dessen Nebenflüsse herunter. Diese Holzfäller waren die besten (weil einzigen!) Kenner des Hinterlandes, und Thoreau sicherte sich die Dienste von ein paar von ihnen.

Auf der Reise sieht und beklagt er immer wieder die grossen Schäden, die das Fällen vor allem der in grosser Menge wachsenden Kiefern in der Landschaft verursacht. Je weiter er sich von Bangor entfernt, desto geringer sind diese Schäden, desto mehr kann sich Thoreau mit der Natur um ihn herum befassen. Am Ende seiner Reise fand er sich dann wirklich ein einer noch vom Menschen unberührten Natur. (Bei Walden Pont lebte er ja nur in einer Art Pseudo-Abgeschiedenheit – am andern Ufer des kleinen Sees fuhr schon damals direkt die Eisenbahn vorbei…) Aber einmal auf dem Gipfel von Mount Katahdin angekommen, von wo aus er weite Teile Mains überblicken konnte, und auch bis nach Kanada hinein sah, änderte er seine Sicht der Dinge. Noch immer bedauerte er die menschlichen Eingriffe in die Natur. Der Mensch, vor allem der Weisse – Indianer lernt er hier nur als vom Weissen verdorbene Quartalssäufer kennen –, ist für ihn nach wie vor das genuin Böse. Aber er sieht auch, wie gering trotz allem die Schäden sind, die der Mensch (zumindest mit den damaligen Mitteln!) der Natur zufügen konnte. Die menschlichen Siedlungen (ob weiss oder indianisch) sind unscheinbare Punkte in der Landschaft, die Abholzungen kleine Flecken. (Tatsächlich hat sich der Wald um Mount Katahdin, nachdem die Gegend zum Naturschutzgebiet erklärt worden war und das Fällen der Kiefern verboten, relativ rasch wieder erholt und ist zu dem geworden, was man einen sekundären Urwald nennt.)

Die Winzigkeit der Schäden und in gewissem Sinne der Trotz, mit dem sich der Mensch mit der übermächtigen Natur herumschlug, erweckten in Thoreau eine Wertschätzung menschlichen Pioniergeistes. Das ist vielleicht mit ein Grund, warum er in den USA bis heute von Linken wie von Rechten in Anspruch genommen wird. In seiner Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat finden sich rechte Libertäre wie linke Anarchisten wieder, und Ähnliches gilt in seiner Haltung zur Natur und dem menschlichen Pioniergeist.

Thoreau hat den Bericht über die Reise nach Mount Katahdin später als ersten Teil in die Sammlung Maine Woods integriert; vor mir liegt eine deutsche Einzelausgabe, aus dem amerikanischen Englisch übersetzt und herausgegeben von Alexander Pechmann und 2017 bei Jung und Jung erschienen. Dem kurzen Bericht ist Ralph Waldo Emersons Grabrede auf Thoreau beigefügt, die das Thoreau-Bild bis heute prägt: der immer wahrheitssuchende, unabhängige, aber auch unbequeme und immer auf Widerspruch gebürstete Einzelgänger, den man (deswegen oder trotz allem) lieben musste. Mir scheint, dass eine eingehendere Beschäftigung mit Thoreau und seinen Schriften wohl den einen oder andern Widerspruch in seiner Haltung zu Tage bringen würde, aber als Beschreiber der Natur ist er auch in Ktaadn einzigartig in seiner Präzision. (Obwohl er besser ist, wenn er nicht reist, sondern stationär bleibt, weil er da besser und intensiver beobachten kann.)

Als Ergänzung seiner grossen und berühmten Texte durchaus empfehlenswert.

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