Tom Liehr: Sommerhit

Aufmerksam wurde ich auf den Autor durch diesen Artikel, dem ich grosso modo zustimme (obschon die conclusio, dass Kunst einfach alles dürfe, selbstredend Unsinn ist: Kunst darf viel, hat sich aber an den juristisch-gesellschaftlichen Rahmen zu halten wie jede andere Äußerung auch). Und so sind bei meiner letzten Buchbestellung denn auch zwei Romane von Liehr in den Warenkorb gerutscht (der Autor war mir bis zu diesem Zeitpunkt völlig unbekannt).

Nach „Sommerhit“ habe ich allerdings den Eindruck, dass mir durch eine fortgesetzte Unbekanntheit keineswegs etwas entgangen wäre. Das ist ein routiniert geschriebener, aber wenig origineller Roman ohne jegliche Überraschungen, der sich ob des Personals bzw. der Handlung ausgezeichnet für eine Verfilmung eignen würde (aber das kann Rosamunde Pilcher auch für sich in Anspruch nehmen und ist durchaus nicht als Lob gemeint). Der Plot ist konstruiert und macht (wüsste ich es nicht besser) den Eindruck, als ob er von einem recht jungen Autor (der seine Gymnasialzeit zu verarbeiten beschlossen hat) entworfen worden wäre. Falk Lutter (die Hauptperson) flieht mit seiner Mutter aus der DDR (über Ungarn, seine Schwester wird schon an der tschechoslowakischen Grenze zurückgeschickt, der Vater beschließt (deshalb?) sich nicht Frau und Sohn anzuschließen). Falk ist Außenseiter, wird in der Westberliner Schule gemobbt und ist Beteiligter und Zeuge einer Tragödie bei der Abschlussklassenfahrt: Ein älterer Lehrer wird von einer Schülerin in eine hochnotpeinliche „Sexfalle“ gelockt (alle Schüler werden zu Zeugen) und erhängt sich am nächsten Tag im nahegelegenen Wald. Niemand aus der Klasse spricht über den wahren Grund; als Falk – zurück in Berlin – überlegt, das Ganze publik zu machen, wird er von den drei Rädelsführern zusammengeschlagen und ihm mit einer Rasierklinge das Gesicht zerschnitten. (Jeder, der jemals als Schüler und/oder Lehrer Klassen erlebt hat, weiß, dass diese zwar zu allen möglichen Schandtaten, Gemeinheiten etc. in der Lage sind, dass aber eine solche „Geheimhaltung“ noch nicht mal zwei Stunden überdauert hätte).

Teil zwei des Romans zeigt Falk als Musiker, der unter dem Pseudonym Martin Gold große Erfolge feiert (sein wahres Ich Falk Lutter bleibt unbekannt, da sein Aussehen der Schnitte wegen und weil aus dem dicklichen Ostler ein schlanker Gitarist geworden ist, sich völlig geändert hat). Die Schwester wird nach der Ostöffnung wiedergefunden (sie musste als Funktionärshure arbeiten, was sie anfangs den Eltern nicht verzeiht (der Vater landete im Gefängnis), später aber haben sich alle wieder lieb), Falk (Martin) trifft seine Urlaubsliebe wieder (er hatte das Mädchen vor dem Fluchtversuch am Balaton kennengelernt, eine Westdeutsche) und heiratet sie schließlich nach diversen Wirren. Weil aber auch die Schulgeschichte ihren Abschluss haben muss, gibt es ein Klassentreffen, bei dem Falk anfangs (zumindest von den Hauptübeltätern) nicht wiedererkannt wird, dann aber auf der Bühne das damalige Geschehen offenlegt (unter dem auch andere gelitten haben). Große Genugtuung, einer der Rädelsführer nimmt sich bald danach das Leben, den anderen (und vor allem den unterdrückten Schülern der Klasse) widerfährt endlich Gerechtigkeit (diese Außenseiter sind auch durchwegs erfolgreicher als die Mitglieder der üblen Gang).

Fazit: Das geht alles gar nicht. Wie schon erwähnt: Wüsste ich nicht, dass der Autor bei Erscheinen des Buches knapp 50 Jahre alt gewesen ist, ich hätte auf einen sich selbst therapierenden, in der Adoleszenz befindlichen Schriftsteller getippt. Das ganze Personal des Romans folgt einem simplen Schwarz-Weiß-Schema, es gibt niemanden, der nicht eindeutig der guten oder bösen Seite (der Macht) zugeordnet werden könnte. In realiter erscheinen solche Schulereignisse 20 oder mehr Jahre später zumeist lächerlich, sie sind von keinen großen Geheimnissen umwoben und die Träume von der späten Rache an den Klassentyrannen lösen sich auf in einem Leben, das mit dem Schülerdasein kaum noch Verbindung hat. Deshalb auch meine Vermutung wegen des Alters: Diese Rachepläne werden von jenen geschmiedet, die noch in das Geschehen involviert sind (oder knapp danach); seine Jugendliebe (die beiden waren 14 während ihres Urlaubs in Ungarn) heiratet man im Regelfall genauso wenig wie man wegen der ersten enttäuschten Liebe den Tod sucht (das soll es zwar geben, ist aber unbedingt zu vermeiden: Zwar sind Liebesschmerzen in der Pubertät so ziemlich das grausamste, was man sich nur vorzustellen vermag, sie sind aber – auch wenn man sich das zu glauben weigert – zeitlich begrenzt. Und wenn man die Angebetete nach 10 oder gar 20 Jahren wiedertrifft, versteht man noch nicht mal in Ansätzen, warum man anno dazumal derart verzweifelt war.) Neben dieser unsäglichen Handlung wartet man auf den am Cover angekündigten Sprachwitz (er wird mit Nick Hornby verglichen, der mich nun auch nicht zu Begeisterungsstürmen hinreißt, aber dennoch in einer anderen Liga spielt) ebenfalls vergeblich: Das ist nicht schlecht (vor allem – wie erwähnt – routiniert) geschrieben, allerdings erging es mir ähnlich wie der Hauptfigur, die aufgrund ihrer Schnittverletzungen nur noch ein Lächeln im Ansatz zuwege brachte. (Und nun frage ich mich natürlich, was ich mit dem zweiten Roman des Autors tun soll, den ich leichtfertig bestellt habe.) Mal sehen.


Tom Liehr: Sommerhit. Berlin: Aufbau 2011.

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