Saša Stanišic: Herkunft

Stanišic erzählt – wie der Titel anzeigt – von seiner Herkunft. Geboren 1978 in Bosnien-Herzegowina muss er 1992 aus Višegrad (an der Grenze zu Serbien gelegen) mit seiner Mutter fliehen und wächst in Deutschland (Heidelberg) auf. Es ist ein aktuelles Buch, ein Buch über das Fremdsein, Ausgrenzung, über Freundschaften und Erinnerungen aus längst vergangenen Zeiten. Nicht alles ist offenbar streng autobiographisch, aber das tut nichts zur Sache (im Gegenteil, der Autor spielt mit dem Topos des „Geschichten-Erzählens“, zeigt an der langsam dement werdenden Großmutter das Trügerische von Erinnerungen, ihren Verlust).

Diese Großmutter ist die eigentliche Hauptfigur, eine selbstbewusste, zupackende Frau, die sich im Leben zu behaupten weiß – wenn auch nicht mit immer ganz legalen Mitteln. Immer wieder kehrt sie (und der Roman) in den Ort ihrer Kindheit zurück, in eine archaisch anmutende Welt mit Menschen, die aus einer anderen Zeit zu stammen scheinen. Stanišic wird das Seltsame, Problematische einer Herkunft erst in Deutschland bewusst, als er plötzlich ein Außenseiten, „Jugo“ ist, also mit einem Land assoziiert wird, das es so längst nicht mehr gibt. Väterlicherseits serbisch, die Mutter mit einem bosnisch-muslimischen Vater (eine wunderbar gezeichnete Figur, die man in ihrer zurückhaltenden Höflichkeit kennenzulernen wünscht) erfährt er am eigenen Leib das Fragwürdige aller Nationalismen, ihre Unsinnigkeit, indem man in Begriffsschemata zu pressen versucht, wofür es keine Kategorie gibt.

Es ist eine eingehende Beschreibung dieses Zustandes der Heimatlosigkeit, ganz ohne Wut, keine Anklage, sondern eine zur Verwunderung neigende Feststellung der Tatsache, plötzlich beinahe überall fremd zu sein. Es gibt Zurücksetzungen, aber auch wohlmeinende Menschen, es entstehen Freundschaften, Verbindungen, die ein Leben lang halten. Dabei bleibt spürbar, dass Stanišic bei weitem nicht das schlechteste Los gezogen hat, andere Flüchtende haben Schlimmeres erlebt, sind traumatisiert, die Eltern müssen schlecht bezahlte Jobs in einer Wäscherei bzw. auf dem Bau annehmen (die Mutter ist Politkwissenschaftlerin, der Vater Logistiker), schließlich wird ihnen die deutsche Staatsbürgerschaft verwehrt und sie wandern in die USA aus. Doch das wird bei aller Tragik mit Humor und Mutterwitz erzählt, immer wieder werden Anekdoten von den späteren Besuchen bei der Großmutter eingeflochten und selbst die zunehmend tragischen Geschichten über ihr Vergessen entbehren nicht einer gewissen Komik.

Der letzte Abschnitt ist ein Geschichtenpotpourri: Die Zeit vor dem Tod der Großmutter wird in zahlreiche kleine Erzählungen aufgelöst, der Autor gibt Verweise, wo denn der Leser je nach Bedürfnis seine Lektüre fortsetzen kann – will. Auch das ist im Grunde gut gemacht, obschon der Eindruck entsteht, als ob mit diesem Kunstgriff eine kleine Verneigung vor der Literaturkritik gemacht würde: Und tatsächlich zählt das Buch zu den Favoriten für den Deutschen Buchpreis. Mag sein, dass ich Stanišic mit diesem Vorwurf Unrecht tue, mich hätte jedenfalls ein ganz konventionelles Ende des Buches nicht gestört. Trotzdem beeindruckend und empfehlenswert.


Saša Stanišic: Herkunft. München: Luchterhand 2019.

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