Heuser lädt ein zu einer historischen Exkursion durch die Gefilde der Gematrie (einer „Psychoanalyse der Wörter“) und widmet fast allen „besonderen“ Zahlen auch eigene Kapitel. So erfährt man einiges über die Zwölf, die Sieben, die Vier, über weibliche und männliche Zahlen (das kann von Kultur zu Kultur schon mal wechseln), wobei es ihm besonders die Drei und die Eins angetan haben (deren eigenartiger Gleichsetzung im Christentum eine besonders eingehende Untersuchung erfährt). Nirgendwo aber wird man im Buch mit einer dezidierten Aussage des Inhalts konfrontiert, dass es sich bei dieser Zahlenalchemie um puren Unsinn handelt. Doch die Formulierungen lassen keinen Zweifel zu, Heuser amüsiert sich ganz offenkundig über diese Seltsamkeiten und der Leser tut dies auch – anhand des Buches. Im Schlusskapitel über die Dreifaltigkeit und die Art und Weise, wie man hier zur Drei gelangte (indem man einen Geist, immerhin einen heiligen, recht lieblos dem Vater-Sohn-Gespann hinzufügte) wird dies deutlich, wenn er diesen von Karl Barth als „Brandsatz destruktiver Schwärmerei“ bezeichnetem Etwas eine anschauliche Beschreibung über dessen Funktion in den ersten Christengemeinden folgen lässt: „In den frühchristlichen Gemeinden muss es unter der Wirkung des Heiligen Geistes bemerkenswert tumultös hergegangen sein: mit allerlei Stöhnen, Lallen, Stammeln und Stottern, einem Sprachgebrauch, den man ‚Zungenreden‘ nannte und der als Ausweis göttlicher Be-geisterung galt. Bürgerliche Verständlichkeit war dem hohen Anliegen entschieden abträglich und wurde nicht erstrebt. Denn gerade im Galimathias sah man den Geist gewaltig zu Gange. Schaum vor dem Mund war gut; dies bewies, dass der Geist zügig in einen gefahren war.“
Dabei muss man dem historischen Menschen allerdings zugestehen, dass alle Interpretiererei so dumm gar nicht gewesen ist: Ist dies doch der Ausweis dafür, dass wir eine kategorienbildende Spezies sind. Regelmäßigkeiten festzustellen und in eine feststehende Ordnung zu bringen gehört zum Sinnvollsten, um sich in einer nicht-idealen Welt Platons (von der ich fürchte, dass es die einzige ist) zurechtzufinden, sie (die Ordnung) ist ein evolutionär sinnvolles Unterfangen, weil sie uns von der Problematik entbindet, auf jede Situation mit einem einmaligen Verhalten zu reagieren. Wir subsumieren, teilen ein, kategorisieren und öffnen diese Gedankenschubladen bei Bedarf – immer dann, wenn wir eine Zugehörigkeit zu der dort verborgenen Einteilung vermuten. So lässt es sich auch mit einem nicht überdimensionierten Gehirn flexibel leben, denn Klugheit besteht keineswegs darin, zum Quizweltmeister zu werden, sondern das Gewusste vernünftig einzusetzen, in neuen Situationen zu extrapolieren. Es ist keineswegs erstrebenswert, zur Wikipedia auf zwei Beinen zu mutieren (wenngleich man trotzdem ein bisschen was wissen sollte), sondern Schlussfolgerungen zu ziehen (und dabei nicht über logische Fallstricke zu stolpern), sich dieses ohnehin fast überall abrufbaren Wissens zu bedienen. Außerdem: Hinter manchen unscheinbaren Zahlenfolgen verbirgt sich tatsächlich Tieferes, weshalb das enzyklopädische Wissen der Chaldäer über den Sternenhimmel irgendwann Grundlage wurde zu einem rationalen Theoriegebäude. – In jedem Fall angenehm und unterhaltend, wenngleich für den Esoteriker die Enttäuschung vorprogrammiert sein dürfte.
Harro Heuser: Die Magie der Zahlen. Die seltsame Lust, die Welt zu ordnen. Freiburg im Breisgau: AIRA 2013.