Norbert Scheuer: Winterbienen

Das Tagebuch des Egidius Arimont während des Jahres 1944 in der Eifel: Er, der wegen seiner Epilepsie für den Wehrdienst untauglich ist (und von seiner Umgebung deshalb scheel angesehen wird), widmet sich seiner Bienenzucht, erotischen Abenteuern und – weil er für nichtverfügbare Medikamente seiner Krankheit wegen Geld braucht – verdingt sich als Fluchthelfer für verborgene Juden, in dem er sie in Bienenkörben bis an die belgische Grenze bringt (in Lockenwicklern versteckte Königinnen werden auf den Personen angebracht, wodurch sich das gesamte Bienenvolk dort niederlässt und die Person für die Kontrolleure unsichtbar bleibt). Egidius ist keineswegs nur Held, er gerät eher zufällig in eine Situation, in der er sich als menschlich und integer erweist – und das macht die Figur plausibel und authentisch (in einem Nachsatz erfährt man, dass die Geschichte nicht erfunden sei, sondern dem Schriftsteller zugetragen wurde zur gefälligen Ver- und Bearbeitung: Inwieweit das der Wahrheit entspricht, weiß ich nicht).

Daneben gibt es Schilderungen des Kriegsalltags fern der Front, die Mangelwirtschaft, die Verzweiflung, es gibt jene, die sich mit dem Dritten Reich arrangieren bzw. in allem auf ihren Vorteil sehen (wie der Apotheker, der sich weigert, dem Kranken die nötigen Medikamente zu verkaufen, weil er ein Volksschädling sei), Mitläufer und und einige wenige, die Widerstand leisten bzw. durch ihr Tun den Verfolgten zu helfen versuchen (wie die Organisation, für die Egidius die Menschen außer Landes bringt, von denen er aber keine direkte Kenntnis hat, wenngleich sich die Bibliothekarin schließlich als eine dieser Gruppe zu erweisen scheint). Eingeflochten in diese Geschichte ist die philologische Arbeit des Protagonisten, der sich über einen vermeintlichen Vorfahren aus dem 15. Jahrhundert informiert, welcher um die Rettung der Schriften von Nikolaus von Kues sich verdient macht, in ein Kloster geht, von dort aber wegen Unzucht mit einem Bauernmädchen vertrieben wird und als Bienenzüchter seinen Lebensunterhalt bestreitet. Diese Bienenzucht ist das durch das ganze Buch sich ziehende digressive Element, man erfährt einiges über die Imkerei, Egidius steht sogar in Briefkontakt mich Karl von Frisch und hofft, diesen nach dem Krieg besuchen zu können.

Die Lage eskaliert im Frühjahr 1945 (kurz vor dem Einmarsch durch die Amerikaner), Egidius stürmt während eines Luftangriffes mit einer Waffe in die Apotheke, diese wird getroffen, wobei Egidius der einzige Überlebende ist und von einer seiner Geliebten gesund gepflegt wird. Doch das Schicksal versagt ein gutes Ende: Auf dem Weg zu seinen Bienenstöcken verirrt er sich auf Minenfeld und findet dort den Tod. – Das alles ist mit viel Gefühl für Zeit und Umstände erzählt, eine beeindruckende Schilderung der letzten Kriegsjahre mit all den Wirren, die aus einer solchen Extremsituation erwachsen. Trotzdem: Manchmal hatte ich das Gefühl, schon zu viele vergleichbare Bücher gelesen zu haben, Thematik, handelnde Personen – alles das kennt man aus unzähligen anderen (und ähnlichen) Romanen. Aufbau, Sprache, Handlungsverlauf – all das wird souverän gehandhabt, die Parallelhandlung aus den spätmittelalterlichen Schriften ist sinnreich eingefügt, die Digressionen überschreiten nicht ein (manchmal ärgerliches) Maß: Aber die ganz große Neugier, Überraschung blieb aus. Trotzdem empfehlenswert.


Norbert Scheuer: Winterbienen. München: Beck 2019.

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