Jürgen Habermas über Glauben und Wissen

Eine Veranstaltung im Rahmen des Literaturfestivals «Zürich liest ’19».

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass eine Veranstaltung über den sich als säkularen Philosophen begreifenden Habermas ausgerechnet in der sog. ‚Jesuiten-Bibliothek‘ in Zürich stattfand. Allerdings scheint mir Habermas selber einige Schuld daran zu tragen.

Natürlich war Jürgen Habermas nicht persönlich anwesend. Sondern, gemäß Beschreibung der Veranstaltung im Programmheft, ging es um Folgendes:

Habermas, einer der wichtigsten Philosophen weltweit, publiziert am 24. September sein neuestes Werk, eine ausholende Reflexion über die Philosophie anhand des klassischen Verhältnisses von Glauben und Wissen. Francesco Papagni diskutiert mit dem Habermas-Kenner Prof. em. Dr. Edmund Arens darüber.

Das war jedenfalls der Stand der Dinge als das Programm von «Zürich liest ’19» in den Druck ging. Mittlerweile hat sich die Veröffentlichung dieses Werks in den November 2019 verschoben, so dass nur die beiden Referenten – die offenbar einen Vorabdruck erhielten – wussten, worum es darin konkret geht.

So weit ich verstanden habe, ist Habermas‘ neuestes Werk eine Geschichte der Philosophie – der westlichen Philosophie – seit der Antike bis zur Neuzeit und umfasst rund 1700 Seiten in zwei Bänden. Ausgehend von Karl Jaspers‘ Begriff der Achsenzeit, deren er (Habermas) eine im 5. Jahrhundert festlegen zu können glaubt, will Habermas Platons Idee als den Beginn der Religion bzw. der Moralisierung der Religion festgemacht wissen. Für die Entwicklung der grossen westlichen Religion, des Christentums, bedeutet das den Übergang von Christus, der im (von Habermas als orientalisch aufgefassten?) Judentum lebte und starb, durch Paulus, den Hellenisten, ans „Weltliche“ angepasst. Über diesen Gedanken freuten sich die beiden Referenten immens und fanden ihn völlig neu – ich weiß nicht, ob es mein ungläubiger Blick war, der sie dazu führe, das in einem Nachsatz als neu für Habermas abzuschwächen.

Im Folgenden wurde, unter Beizug des Jargons der Sprechakttheorie, Kant als die philosophische Weiterführung Luthers präsentiert. Kant, der die Religion sozusagen als Pfahl im Fleisch der Vernunft aufgefasst haben soll. Es brauche, so Habermas, die Religion als Hilfsmittel der Vernunft. Die beiden Referenten sind, wenn ich das richtig verstanden habe, beides Theologen – kein Wunder konnten sie sich über diese neue Wendung Habermas‘ freuen. Ich für meinen Teil verließ die Veranstaltung in der Pause – und somit vor der Diskussion. Wenn Habermas tatsächlich, wie ich die Referenten verstanden habe, Hume als den Materialisten, der den Glauben psychologisch erklärt haben wollte, beiseite schiebt zu Gunsten einer versteckten Re-Metaphysizierung der Philosophie unter dem Deckmantel eines Rückgriffs auf Kant, habe ich auch kein Interesse daran, mir die 1700 Seiten anzutun.

1 Reply to “Jürgen Habermas über Glauben und Wissen”

  1. Das Letzte, was Habermas will, ist eine „versteckte Re-Metaphysizierung“ der Philosophie. Das nachmetaphysische Denken ist für ihn ein Fortschritt. Er brauch den Begriff zwar nicht, aber der Sache nach ist es klar ein Fortschritt. Nur merkt er, dass etwas fehlt. Und dass die aufgeklärte Vernunft einer tödlichen Gefahr ausgesetzt ist, nämlich an sich selbst zu verzweifeln. Es ist mir nicht ganz klar, ob Habermas glaubt, dass die Religion hier helfen kann. Ich würde jedenfalls allen raten, sich das Buch „anzutun“ – man muss nicht gleich 1600 Seiten lesen: jedes Kapitel hat eine Einleitung, sodass man sich leicht einen Überblick verschaffen kann. Dann liest man das, was einem interessiert.
    Francesco Papagni (einer der beiden Präsentatoren)

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