Novalis: Hymnen an die Nacht

Links und rechts ein weißer Streifen. Im Bild in der Mitte tanzen in bläuliches Licht getaucht drei Engel im Reigen um einen über ihnen stehenden hellen Stern. – Ausschnitt aus dem Buchcover.

Seine Hymnen an die Nacht waren der einzige längere Text, den Novalis zu Lebzeiten fertig stellen und veröffentlichen konnte. Sie erschienen noch in der letzten Nummer des damaligen Sprachrohrs der Frühromantik, der Zeitschrift Athenäum. Außerdem existiert eine handschriftliche Version, die eine von der endgültigen Veröffentlichung zwar abweichende Form aufweist. Die meisten Abweichungen sind aber winzig. In den meisten Fällen ist es so, dass für die Zeitschriften-Version eine Art hymnischer oder rhythmischer Prosa (a.k.a. Prosa-Gedicht) verwendet wurde, dort, wo die Handschrift die lyrische Form des Textes mehr betont, indem regelmäßige Zeilenumbrüche eingesetzt sind. Die wichtigste inhaltliche Änderung betrifft die 3. Hymne.

Dort nämlich geht es darum, dass das lyrische Ich an ihrem Grab der Geliebten nachtrauert – eine melancholische Situation, die sowohl Hardenbergs eigenem Leben entnommen ist wie den Night Thoughts von Edward Young (ein Text, der seinerseits autobiografisch inspiriert war). In der handschriftlichen Version ist diese Stelle noch viel persönlicher gehalten. Für den Druck hat Novalis diese Stelle etwas ‚entschärft‘, allzu Persönliches herausgenommen. Das ist ein Hinweis auch auf das hohe Qualitätsbewusstsein des Lyrikers und auf seine Poetologie, die entgegen den üblichen Annahmen eben gerade nicht auf die Darstellung persönlicher Erlebnisse ausgerichtet war, sondern das Allgemeingültige zu präsentieren suchte.

Das Werk besteht aus 6 Hymnen, die in Gruppen von jeweils zwei sich aufeinander beziehenden geordnet werden können. Die jeweils ersten Hymnen beschreiben in einem für Novalis typischen dreistufigen Modell die Entwicklung vom Leben im glücklichen, irdischen Reich des Lichts über eine Phase der schmerzhaften Entfremdung zur Befreiung in der ewigen Nacht. Die jeweils zweiten Hymnen schildern das ernüchternde Aufwachen aus der Vision und die Sehnsucht nach einer Rückkehr dorthin. Die drei Zyklen sind als Steigerung angelegt; in jeder dieser Stufen wird eine höhere Ebene der Erfahrung und des Wissens erreicht. Die dritte schildert entsprechend die Ruhe der Nacht.

In diesem Text setzt Novalis sich und seine Philosophie bewusst in einen Gegensatz zu derjenigen der Aufklärung. Diese kann den Menschen nur temporär halten. Die Realität wird den Menschen der Aufklärung abspenstig machen und erst eine Art Auflösung im Nirwana bringt ihm Ruhe. Dieses Nirwana ist aber durchaus christlich vorgestellt, Jesus und die Auferstehung im christlichen Sinn spielen eine große Rolle in Novalis’ Denken.

Die Kommentatoren meiner Version sprechen in Zusammenhang mit den dreistufigen Denkmodell von Triaden. Ich würde sogar etwas weiter gehen, denn tatsächlich weisen diese Triaden schon eine verblüffende Ähnlichkeit auf mit dem Modell einer dialektischen Logik, wie es von Hegel perfektioniert wurde. Wir sind mit Novalis natürlich noch nicht ganz bei Hegel. Ich vermute, dass Novalis mit diesem Triaden-Modell nicht über Fichte bekannt wurde (wie meine Ausgabe suggeriert), sondern über den damals mit den Frühromantikern ebenso wie mit Hölderlin und Hegel befreundeten Schelling. Der wiederum konnte das Modell kennen von dessen eigentlichem Erfinder – Friedrich Hölderlin. (Von diesem ist wohl auch bei Hegel inspiriert worden, denn das Modell findet sich in seiner Urform bei Hölderlin schon lange bevor Hegel es verwendete.)

Novalis’ Philosophie ist so komplex wie der Aufbau der Hymnen an die Nacht. Da ist aufklärerisch-klassisches Gedankengut zu finden (Schillers Die Götter Griechenlands formen einen Teil des religionsphilosophischen Hintergrunds), das er dann aber abwehrt und sich in eine schon fast theosophische Mystik flüchtet, inspiriert vom damals den Frühromantikern als Hausgott geltenden Jacob Böhme. Doch auch der Pietismus spielt in dieser Sache noch eine gewichtige Rolle – obwohl Novalis eigentlich Katholik war und die literarisch-philosophische Strömung der Empfindsamkeit größtenteils der Vergangenheit angehörte. Dass die Nacht als Erlösung betrachtet wird, ist wiederum nicht nur dem Einfluss Edward Youngs zu verdanken, sondern auch einem naturphilosophisch-alchemistischen Denken, das das Dunkel als Quelle allen Lichts und Lebens ansieht. So steht denn auch am Ende der Hymnen an die Nacht die Sehnsucht nach dem Tod – der zugleich der Beginn des ewigen Lebens ist.

Man tut Novalis also Unrecht, wenn man ihn einfach als den mehr oder weniger willenlos seiner Geliebten nachsiechenden Mann betrachtet. Gerade die Hymnen an die Nacht, die dieses Bild wie kein anderer Text Novalis‘ geprägt haben, zeigen bei genauerer Lektüre das genaue Gegenteil: einen zwar eigensinnigen aber in diesem Eigensinn durchaus präzisen Denker und Autor. Wie in diesem seinem Werk mischten sich auch sonst in Hardenbergs Leben und Denken tausende verschiedener Strömungen und Einfälle. Ein sehr komplexer Mensch mit einem sehr komplexen Denken und deshalb auch sehr komplexen Werk (das im vorliegenden Fall durchdrungen zu haben, ich mir keineswegs einbilde).


Meine Ausgabe, weil wir es davon hatten, ist folgende:

Novalis: Werke in einem Band. Herausgegeben von Hans-Joachim Mähl und Richard Samuel. Kommentiert von Hans-Joachim Simm unter Mitwirkung von Agathe Jais. München, Wien: Hanser, 1981.

Ansichten seit Veröffentlichung bzw. 17.03.2025: 10

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