Trotzdem gefiel mir dieses Werk besser als seine Universalgeschichte: Denn seine dystopischen und utopischen Entwürfe entbehren nicht einer gewissen Originalität, sie werden nicht apodiktisch vorgebracht, sondern als Anregung für ein Nachdenken über die Zukunft. Der Buchtitel gibt die Agenda vor, der Mensch wird sich aufschwingen zur Gottgleichheit (bzw. er wird diese zumindest anstreben). Götter sind unsterblich und Götter sind (zumeist) glücklich: Daher der Wunsch nach längerem Leben (unter Einsatz aller irgendwie vorstellbaren wissenschaftlichen Hilfsmittel), der Wunsch nach Glück. Immer spielt bei diesen Bestrebungen die Entwicklung einer künstlichen Intelligenz eine bedeutende Rolle, wobei Harari über den geschichtlichen Rückgriff auf die Behandlung aller Lebewesen durch den Menschen (und die gut gestellte Frage, was denn den Menschen moralisch zu einem solchen Handeln berechtigt) ein Problem am technisierten Horizont auftauchen sieht: Wir könnten als Menschen, als biologisch-chemische Algorithmen, in eine ähnlich Lage geraten wie die wenig pfleglich behandelten Tiere. Eine KI könnte zur Ansicht gelangen, dass die von ihr entwickelten Algorithmen den Menschen überflüssig machen, sodass wir – getrieben vom Wunsch nach Allmacht und Unsterblichkeit – an unserer Vernichtung arbeiten.
Bis der Autor zu dieser Schlussfolgerung gelangt, werden wir wieder (wie im ersten Buch) mit anthropologisch angehauchter Menschheitsgeschichte konfrontiert, mit der Frage, warum denn der Mensch sich auf dem Planeten so ungeheuer erfolgreich vermehren konnte. Die Erklärungen sind nicht wirklich neu: Die Erfindung der Landwirtschaft führt zu einer Reorganisation aller bis dahin kulturell-sozialer Eigenheiten, die Erfindung der Schrift (als eine Folge des neuen, bäuerlichen Lebens, weil nun Waren katalogisiert, verteilt, gehandelt werden mussten) hat einen ungeheuren Wissenszuwachs zur Folge (den von Michael Tomasello so genannten Wagenhebereffekt: Schriftliche Aufzeichnungen ersetzen das individuelle Gedächtnis, der Tod oder Verlust eines Menschen bedeutete nicht gleichzeitig den Verlust des Wissens dieses Menschen).
Die letzte alles überragende Religon (oder Ideologie, Harari scheint hier kaum Unterschiede zu machen) ist der Humanismus, jener Humanismus, der das Individuum in den Mittelpunkt stellt und dessen Wichtigkeit durch die Teilnahme an demokratischen Wahlen, durch die Gewährung größtmöglicher Freiheiten charakterisiert wird. Genau diesen Humanismus sieht Harari in Gefahr durch die neue Religion des „Dataismus“, der in der umfassenden Erhebung aller diesen Menschen betreffenden Daten besteht: Nicht nur seine Aktivitäten werden aufgezeichnet, seine Äußerungen, sein Bewegungsprofil, auch seine physiologische Befindlichkeit wird permanent überwacht. Und wir werden diese Überwachung aus freien Stücken akzeptieren: So wie wir jetzt auf die Ratschläge eines Arztes hören, der uns Medikamente verschreibt der ermittelten Blutwerte wegen, so werden uns Wearables in Zukunft nicht nur informieren, sondern (weil sie es besser wissen) auch ohne unsere explizite Zustimmung die entsprechenden Schritte zur Verbesserung unserer Gesundheit einleiten (dergleichen gibt es schon im Bereich der Zuckerkrankheit, wo Insulinpumpen auf veränderte Werte selbständig reagieren). Wenn aber auch alle sozialen Daten zur Verfügung stehen, so können entsprechende Algorithmen etwa auch unser Wahlverhalten vorhersagen (auch hier gibt es bereits Untersuchungen, dass Google die Präferenzen von Menschen besser als deren beste Freunde, ja als sie selbst, prognostizeren konnte). Und der Gang zur Wahlurne würde obsolet. Das Individuum auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit, der humanistisch-liberale Grundkonsens über die Wichtigkeit des Einzelnen in Auflösung begriffen. Und eine weitere, selbstverständlich anmutende Verbindung stellt der Autor in Frage: Jene zwischen Bewusstsein und Intelligenz: Nirgendwo steht geschrieben, dass eine KI „Bewusstsein“ im menschlichen Sinn erlangen muss, Algorithmen könnten einfach nur perfekt funktionieren (und sich selbst vervollkommnen).
Harari lässt weitgehend offen, wie er diese seine Zukunftsszenarien bewertet – sowohl, was die Wahrscheinlichkeit ihres Eintretens betrifft als auch bezüglich der moralisch-ethischen Implikationen. Er betreibt eine Art (intelligentes) Brainstorming, räsoniert über einen möglichen Übergang von einer homozentrischen zu einer datazentrischen Welt, die alle Wichtigkeiten nur anhand von Bits und Bytes einschätzt. (Wenn er aber versucht, Bedeutung nur aufgrund der Informationsmenge zu bestimmen, vergisst er, dass eine bloße Zahlenfolge von Nullen und Einsen (die sich nicht algorithmisch verkürzen lässt bzw. deren kürzeste Darstellung sie selbst ist) keinen Wert an sich bedeutet: Die Informationsmenge einer zufallsgenerierten Zahlenfolge ist eben eine andere als die eines Softwareprogrammes oder einer Bachschen Fuge.) Trotz aller Einwände, die sich einem in diesem dritten und letzten Teil aufdrängen, liegt in den anregenden, oftmals verrückt und skurril anmutenden Gedankenspielen die Qualität des Buches: Es reizt zur Auseinandersetzung mit den abenteuerlichen Szenarien, bricht mit vermeintlichen Selbstverständlichkeiten (wie etwa dem Ideal der humanistisch-liberalen Gesellschaft) und ermuntert den Leser, seine eigenen Dystopien/Utopien zu entwerfen. Deshalb, dieser Anregungen wegen, kann ich dieses Buch – trotz mancher Längen – wärmstens empfehlen: Es macht einfach Spaß, in eine so noch nicht gedachte Zukunft einzutauchen.
Yuval Noah Harari: Homo Deus. Eine Geschichte von morgen.
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