Kwame Anthony Appiah: Identitäten

Appiah ist seines Zeichens Philosoph (und betont mehrmals diese seine Berufung), könnte aber auch als Sonntagspredigtenschreiber reüssieren. Denn das vorliegende Buch ist ein mittlere Katastrophe: Eine ungeheure Aneinanderreihung von Banalitäten und Trivialitäten; und dort, wo er sich zu einer Meinung abseits des substanzlosen Toleranzgeschwafels durchringt, ist es von peinlich anmutender Einfalt. (Nachträglich frage ich mich, warum ich dieses Machwerk bis zum – bitteren – Ende gelesen habe.)

Dabei ist an der Grundaussage des Buches so viel nicht auszusetzen: Man solle Toleranz walten lassen und dem anderen seine Eigenheiten nach Möglichkeit nachsehen. Und er wendet sich – richtigerweise – gegen jede Form von Essentialismus: Es gibt keine Bezeichnungen, Etiketten, die einen Menschen hinreichend beschreiben würden, welcher Ethnie, Nation, Religion oder Ideologie jemand auch angehört, der Deutsche, Afrikaner, Hindu etc. existiert nicht. Mit dieser Aussage aber knapp 300 Seiten füllen zu wollen, ist dann doch etwas dünn, vor allem, weil seine Beispiele (die häufig in ihrer Bedeutung unverständlich bleiben) höchst fragwürdig sind.

Wobei ohnehin fast nur beschrieben wird, ohne Stellung zu beziehen. Paradigmatisch dafür seine Darstellung der Verhältnisse in Singapur, die offenbar die Möglichkeit des Zusammenlebens verschiedener Ethnien und Religionen demonstrieren soll. Dass Singapur aber ein totalitärer Staat ist, in dem zu den Wahlen meist nur ein Kandidat zugelassen wird, dass dieser Staat seine Bürger überwacht, zur Denunziation aufruft und man bei Unbotmäßigkeit sehr schnell für lange Zeit im Gefängnis verschwindet, wird bei Appiah höchstens mal am Rande erwähnt (für ihn ist Singapur ein „moderner Staatstadt“, kein Staat, der von seinen Bürgern absoluten Gehorsam verlangt). Einzige Konzession an die totalitäre Struktur Singapurs bietet die Erwähnung, dass jüngere Menschen mit dieser Überwachung vielleicht ihre Probleme hätten. Aber sonst ist alles ganz wunderbar, was durch die romantisierende Beschreibung von Moscheen, Tempeln und christlichen Kirchen demonstriert wird.

Was zu seinem etwas eigenartigen Verständnis von Religion führt (ich weiß nicht, ob er gläubiger Christ und/oder Anhänger ghanaischer Kulte ist): Jedenfalls ist er der Meinung, dass man Buchreligionen keinesfalls beim Wort nehmen sollte, sondern die Interpretation den jeweiligen Verhältnissen anpassen sollte. Wahrscheinlich habe ich eine andere Vorstellung von „Offenbarung“: Wenn aber der liebe oder auch nicht ganz so liebe Gott seine Schriften diktiert (woran zu zweifeln ein Ausschlussgrund für den Gläubigen ist), so kann man schon mehr erwarten als ein paar Geschichtchen oder wiederholte Aufforderungen zum Massenmord. Letzteres pflegt dann dem Gläubigen recht peinlich zu sein (gerade ein Christ tut sich viel zugute auf die seinem Glauben angeblich zugrunde liegende Herzlichkeit und Nächstenliebe), weshalb derlei entweder negiert oder sophistisch wegerklärt wird. Dies mag zwar eine menschlich verständliche Reaktion zu sein, mutet aber bei einem göttlichen Text seltsam an (war der liebe Gott am Tag des Diktierens unausgeschlafen, verkatert von einer heiligen Orgie oder geplagt von Vapeurs?). Eine Offenbarung ist doch keine Ideologie oder Philosophie (sonst würde man sie ja auch so nennen) – und man kann sie auch nicht in eine solche umwandeln, weil damit der tatsächliche Charakter der Religion verloren ginge. Wer im Christentum an der Erbsünde zweifelt, an der unbefleckten Empfängnis (die ihre Wichtigkeit aus der postulierten Erbsünde erhält, wäre ansonsten das Jesukind doch durch einen sündhaften Akt entstanden), am von Gott befohlenen Opfertod seines Söhnleins nebst Wiederauferstehung und Himmelfahrt etc., wer, wie gesagt, daran zweifelt, zweifelt an den Fundamenten dieses Glaubens. Diesen ganzen Unsinn (und noch viel mehr) ist man verpflichtet zu schlucken, sonst bleibt von all dem – nichts, nichts als eine Geschichte wie die von Enkidu oder der Schildkröte, die die Erde spazieren trägt. (Nicht dass ich etwas dagegen hätte, dass genau das übrig bleibt: Denn das ist die einzige Möglichkeit, ohne sich vollkommen jeglicher Rationalität, jeden Denkens zu begeben.) Das zu erkennen stünde einem analytischen Philosophen (der Appiah zu sein vorgibt) ganz gut an, aber mit der Logik hat er’s nicht so. Deshalb lobt er den Geister- und Hexenglauben seiner Heimat Ghana ebenso (er findet solche Dinge kulturell wertvoll; solche Leute verteidigen zumeist auch Beschneidungen, Verstümmelungen an Kindern und Jugendlichen als altehrwürdigen Brauch) ebenso wie das Christentum seiner englischen Mutter und betrachtet die Religionen als ideologische Konstrukte. Was sie nicht sind: Deshalb wird in ihrem Namen auch ein Ungläubiger schon mal zur Strecke gebracht, während man als Liberaler keineswegs einen Eid auf John Locke ablegen muss und dessen Ansatz auch verbessern darf (Locke ist denn auch nicht gen Himmel aufgefahren).

Geschenkt, der ganze Unsinn lohnt eine Analyse nicht. Das Buch ist einfach nur ein Sammelsurium von Beispielen zur (manchmal zweifelhafter) Toleranz (wie jene totalitär erzwungene in Singapur), dem jeglicher Tiefgang, jeder kritische Gedanke fehlt. Dass dieses Gesülze allüberall gelobt wird liegt wohl daran, dass jemand, der den Begriff Toleranz im Munde führt, sakrosankt ist. Man kann aber trotz betulicher Toleranzappelle ein Flachdenker sein (wofür Appiah den Beweis liefert). Nicht das Papier wert, auf dem es gedruckt wurde (ich hab’s zum Glück auf dem E-Reader gelesen, der Platz wird alsbald freigegeben für anderes).


Kwame Anthony Appiah: Identitäten. München: Hanser 2019. (ebook)

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