Rumänische Literatur kennt man hierzulande eigentlich gar nicht. Die Ursache liegt wohl (auch) darin, dass Rumänisch nun nicht gerade eine Idiom ist, die eine bedeutende Zahl an Muttersprachlern aufzuweisen hat – jedenfalls nicht im Vergleich zu Chinesisch, Englisch, Spanisch oder auch nur Französisch. Die Jahrzehnte dauernde Abschottung gegen den Westen, die das Land Rumänien als Mitglied des Warschauer Paktes erfuhr, war – zumindest eben hier im Westen – auch nicht dazu angetan, die rumänische Literatur bekannt zu machen. Wenn ich das richtig sehe, hat auch noch nie ein Rumäne oder eine Rumänin den Nobelpreis für Literatur gewonnen, wodurch das Land irgendwie in meinem Horizont der Weltliteratur aufscheinen hätte können.
Was natürlich nicht heißt, dass es nicht auch rumänische Literatur geben sollte. Sogar gute rumänische Literatur. Florin Iaru, geboren 1956 in Bukarest, jedenfalls hat mir durchaus gefallen mit seinem Erzählband Die grünen Brüste. Iaru ist ein erfahrener Autor, und seine Geschichten zeigen seine Erfahrung. Wenn ich richtig gezählt habe, haben wir in Die grünen Brüste 56 Erzählungen vereint. Dies auf rund 175 Seiten – es handelt sich also um Kurz-, ja Kürzest-Geschichten. Je kürzer eine Geschichte ist, umso mehr Stringenz muss ihr der Autor geben. Im Großen und Ganzen kann man sagen, dass es Iaru gelingt, jeder Geschichte einen eigenen Ton und eine eigene Note zu geben, ohne sich in stilistischen oder literarischen Experimenten zu verlieren. Praktisch jede Geschichte hat ihre Pointe – und eine gut gesetzte Pointe dazu.
Iarus Themen sind vielfältig: Unter den 56 Texten sind kurze Coming-of-Age-Stories ebenso wie Beziehungsdramen, glückliche und unglückliche Lieben, die Angst vor dem Altern und dem Tod, auch das Alter und das Sterben selber. Es sind meist Momentaufnahmen aus dem kleinbürgerlich-proletarischen Leben – ein Leben, das in seiner Art ebenso international ist, wie der viel gerühmte Jet Set. Iarus ‚Helden‘ sind Leute, die im Leben zu kurz gekommen sind, und nicht immer geht es ihnen am Ende der kurzen Geschichte besser als zu Beginn. Viele Erzählungen wirken wie Träume, wie ein Rausch oder wie ein Drogen-Trip. Dies vor allem, weil sich der Autor nicht scheut, auch Elemente der phantastischen Literatur einzubauen. Zur Hauptsache durch diesen Umstand, und gar nicht durch den, dass alle Geschichten in Rumänien handeln, wirken die Erlebnisse der Protagonisten Iarus fremd und manchmal bizarr – gerade, weil die Protagonisten selber durchaus bodenständige Figuren sind. Aus dieser Spannung zwischen Banalem und Seltsamem entwickelt sich ein Sog, der macht, dass man am Ende einer jeden kurzen Geschichte gleich die nächste lesen will.
Ich kann das kleine Büchlein, das auch schön aufgemacht ist (weiße Pappe mit Schutzumschlag, Fadenheftung) für den kleinen literarischen Hunger zwischendurch also sehr wohl empfehlen.
Florin Iaru: Die grünen Brüste. Erzählungen. Aus dem Rumänischen übersetzt von Manuela Klenke. Ulm: danube books, 2020.
Mit bestem Dank an den Verlag für das Rezensions-Exemplar.
Man hat mich, was Literaturnobelpreisträger aus Rumänien betrifft, auf Herta Müller verwiesen, die den Preis 2009 erhalten hat. Tatsächlich ist Müller im rumänischen Banat geboren und hat dort zu schreiben begonnen. Als sie den Nobelpreis erhielt, war sie allerdings bereits deutsche Staatsangehörige.
Im Übrigen habe ich noch das Erscheinungsjahr dieses Büchleins korrigiert. Selbstverständlich ist es nicht schon 2010 erschienen, sondern erst dieses Jahr, 2020.