Hiob

Im Lande Uz lebte ein Mann, der hieß Hiob. Und dieser Mann war schuldlos und aufrecht, er fürchtete Gott und mied das Böse. Und es wurden ihm sieben Söhne und drei Töchter geboren, und er besaß siebentausend Schafe und dreitausend Kamele, fünfhundert Joch Rinder und fünfhundert Eselinnen und viel Gesinde. So war dieser Mann größer als alle anderen, die im Osten wohnten. [Text nach der so genannten Zwingli-Bibel von 1966]

So wird im alttestamentarischen Buch Hiob dessen Protagonist eingeführt. Er ist offenbar das Oberhaupt einer großen Sippe von Hirten. Diese Clans bildeten damals eine Art Familien-AG, und so ist es nur natürlich, dass nicht nur das Vieh, sondern auch die Söhne und Töchter als Kapital der AG aufgeführt werden. (Hiobs Frau(en) hingegen nicht.) Selbstverständlich kann so ein Glück nicht existieren, ohne Neider hervorzurufen. So tritt denn auch Satan auf den Plan, der dem lieben Gott sinngemäß sagt: „Es ist einfach, gottesfürchtig zu sein, wenn es einem gut geht. Gib mir freie Hand mit ihm, und du wirst sehen, wie rasch er vom Glauben abfällt!“ Der liebe Gott gibt nach, verlangt aber von Satan, Hiob körperlich unversehrt zu lassen. Satan ruiniert im Folgenden Hiobs Familien-AG. Allerdings bleibt Hiob standhaft bei seinem Glauben. Also verlangt Satan vom lieben Gott, ihn auch körperlich versehren zu dürfen. Der liebe Gott gibt nach und verlangt nur noch, dass Satan den Hiob leben lasse. Also wird Hiob mit einer entstellenden Krankheit geschlagen.

Hier nun wird es insofern interessant, als nun drei Freunde Hiobs auftreten und sich die Diskussion (oder eigentlich die Reden, die die drei und Hiob führen) im Folgenden darum drehen, ob und warum der liebe Gott es zulässt, dass ein Gottesfürchtiger derart gestraft wird wie Hiob. War der eventuell gar kein Gottesfürchtiger, wie es schien? Tat er nur so fromm? Soll er nun, wo er gestraft ist, seinerseits Gott „strafen“, indem er ihn verflucht und von ihm abfällt?

Der jüdische Glaube kennt kein Jenseits. Wenn also Gott den Seinen Gutes tun will, muss er das im Diesseits erledigen. So erklärt sich, dass Hiobs bisherige Prosperität auch bei seinen Freunden unhinterfragt als Zeichen dessen gesehen wurde, dass Gott Hiobs Glauben honoriert. Sein wirtschaftliches und privates Pech muss daher für sie bedeuten, dass irgendetwas mit diesem Glauben faul ist – denn, dass Gott ganz einfach nur ein kapriziöses Wesen aufweist, der tut, was er will, ohne sich um die Seinen wirklich zu kümmern, wie man es eigentlich vom Oberhaupt eines Clans erwarten würde (denn anderes war dieser jüdische Gott im Grunde genommen zu Hiobs Zeit nicht!), können die drei sich nicht vorstellen. Weder die drei zu Beginn dieses Teils eingeführten Freund Elifas, Bildad und Zofar, die alle darauf beharren, dass sich Hiob irgendetwas zu Schulden hat kommen lassen, weil ihn sonst Gott nicht gestraft hätte, noch der plötzlich als vierter auftauchende Elihu, der die Position vertritt, dass es dem Menschen nicht ansteht, göttliches Wirken zu beurteilen, können das Problem wirklich lösen. Da es im Judentum kein Jenseits gibt, ist ihnen der Ausweg des Christentums und des Islam versperrt, der nicht nur das Ungemach, das wir in unserem hiesigen Leben durchmachen, als Prüfung Gottes ansehen kann (das kann das Judentum, wie gerade das Buch Hiob zeigt, auch), sondern vor allem die Belohnung des Gottesfürchtigen in ein jenseitiges Paradies verlegt. Das machte damals das Christentum im Römischen Reich so subversiv, indem alle Strafen, denen man die Christen aussetzten, für sie nur der Beweis war, dass Gott sie prüfte – je heftiger sie bestraft wurden, umso sicherer war ihnen das Paradies. Der jüdische Autor des Buches Hiob muss zu einem literarischen Trick greifen: Gott meldet sich persönlich zu Wort. Ein wahrer Deus ex machina spricht er aus einem Gewitter zu Hiob und seinen Freunden. Erst jetzt, wo Gott persönlich zu Hiob spricht (und, nebenbei gesagt, sich selber und seine Schöpfung über den grünen Klee lobt), anerkennt dieser, dass jener tatsächlich Gut und Böse verteilen kann, wie er es will und dies nicht nach Verdienst oder Schuld des Betroffenen zu tun hat.

Das ist eigentlich auch keine Rechtfertigung der Existenz des Bösen in der Welt, aber weil nun Gott gesprochen hat, müssen die Menschen, muss Hiob, das Problem so stehen lassen.

Wir schauen uns aber nun noch den Teufel in Hiob noch etwas genauer an. Goethe hat sich ja bei der definitiven Version des Faust I an diesem alttestamentarischen Buch orientiert, dort nämlich, wo er beim Prolog im Himmel den Herrn und seine himmlischen Heerscharen auftreten lässt, zu denen sich dann auch Mephisto gesellt, der bekanntlich den alten Herrn von Zeit zu Zeit ganz gerne sieht. Goehtes Mephisto lässt sich in dieser Szene recht zynisch über den Menschen und das Menschenleben aus, worauf ihn der Herr fragt, ob er denn den Faust kenne, der ihm zwar jetzt auch nur verworren dient, den er aber bald in die Klarheit führen will. Mephistopheles springt darauf an und wettet mit dem Herrn, dass es ihm gelingen werde, diesen Faust auf seine, des Teufels, Straße sacht zu führen. Und so schließen er und der Herr eine Wette über das ewige Schicksal eines Menschen ab (die Mephistopheles bekanntlich verlieren wird).

Das ist im Vergleich zum Buch Hiob ähnlich und doch ganz anders gestaltet worden. Dort läuft diese Szene folgendermaßen ab:

Nun begab es sich eines Tages, dass die Gottessöhne kamen, sich vor dem Herrn zu stellen, und es kam auch der Satan in ihrer Mitte. Da sprach der Herr zum Satan: Wo kommst du her? Der Satan antwortete dem Herrn und sprach: Auf der Erde bin ich umher gestreift und hin und her gewandert.

Mehr erzählt Satan hier nicht – keine zynischen Bemerkungen über den Menschen und sein Leben auf Erden, wie bei Goethes Mephistopheles. Ich lasse das theologische Problem, das die Gottessöhne (oder, nach anderer Übersetzung: Götter) hier bieten, beiseite und fahre im Text weiter:

Und der Herr sprach zum Satan: Hast du achtgehabt auf meinen Knecht Hiob, dass seinesgleichen keiner ist auf Erden, ein Mann so fromm und bieder, so gottesfürchtig und dem Bösen feind?

Goethes Mephistopheles hat gezündelt und provoziert, bis ihm der Herr de facto die Wette betreffend Faust angeboten hat. Satans Antwort im Buch Hiob ist ausweichend und letzten Endes nichtssagend. Eigentlich, scheint es, will er nur seine Ruhe haben. Wir können es Goethes Herrn nachsehen, wenn er sich provozieren liess; warum der biblische Herr hier aber auf einmal mit seinem Knecht Hiob groß tut, ist ebenso unergründlich, wie es alle Wege des Herrn sind. Mit der Tatsache, dass Faust ein – gelinde gesagt – wohl eher zwiespältiger Charakter war, hat Goethe alle Fragen der Rechtfertigung des Bösen auf Erden abgeschnitten. Sein Faust sollte nicht theologisch-philosophisch werden. Und wenn Goethe nachher über rund 400 Buchseiten darstellt, wie und womit Mephistopheles Faust in Versuchung führt, dann fällt sofort auf, dass Faust nirgends verliert, was, oberflächlich betrachtet, sein irdisches Glück darstellt – außer vielleicht in der Gretchen-Tragödie, aber da trägt der Mensch mindestens so viel Schuld wie der Teufel, und die Erinnerung daran wird ihm gleich zu Beginn von Faust II ausgelöscht. Hiobs Satan hingegen wird nie in direkter Aktion geschildert. Am Schluss des Gesprächs zwischen ihm und dem Herrn heißt es einfach:

Da ging der Satan hinweg vom Angesicht des Herrn.

Was er anrichtet, erfährt Hiob aus Erzählungen Dritter. Die beiden kommen nie in direkten Kontakt zueinander. Das Ganze wiederholt sich noch einmal. Dann ist Schluss mit Satan. Er erscheint im Buch Hiob nicht mehr. Obwohl dieses alttestamentarische Buch ganz eindeutig auch in literarischer Hinsicht gestaltet wurde: Hier ist dem Dichter des Hiob ein großartiges Thema entgangen, weil er sich auf die Aspekte der Rechtfertigung des Menschen vor Gott und Gottes vor dem Menschen konzentriert hat. So geht der Teufel auch hinweg vom Angesicht des Zuhörers und mit ihm eine literarische Figur mit hohem Potenzial.

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