Daniel C. Schmidt: This is America

Ich kenne A. nun fast 40 Jahre und es bedurfte der “Viruskrise”, dass er sich mal wieder zu einer Mail aufraffen konnte. Man sieht sich selten, Michigan ist weit – und Österreich ebenfalls. Und so tauscht man sich nun über die Kinder (und Enkelkinder) aus, über diverse Altersgebrechen und die Möglichkeiten, Schmerzen hintan zu halten. A. war ein wirklich guter Freund, wir haben über Monate ein winziges Apartment geteilt und sind selten uneins gewesen – nur einmal, in Bezug auf ein recht hübsches Mädchen (bezüglich der Attraktivität waren wir uns einig). Dennoch ist er der einzige all meiner Freunde, der mit Stolz davon erzählen kann, dass sein 18jähriger Sohn nun zur Army geht. Niemand sonst würde mir in dieser Weise mitteilen, dass sein Nachwuchs sich freiwillig zum Heer gemeldet habe, im Gegenteil: Das wäre wohl fast überall Anlass zu einem Nachsinnen, was da in der Erziehung schief gelaufen ist.

Die USA sind anders, anders als wir Europäer vermuten bzw. uns in der (reinen) Theorie vorstellen. Und Schmidt gelingt es in diesem Buch hervorragend, dieses Anderssein einzufangen, wenn er von Trump-Wählern oder linksliberalen Demokraten schreibt, von schwarzen Vorstadtjugendlichen, deren Hobby darin besteht, der Polizei auf getunten Motocross-Maschinen zu entwischen oder von der ganz unglaublichen Tragik der Opioid-Krise, die ganze Landstriche erfasst hat. Später dann schreibt er darüber, was mich in der Mail so staunen ließ: Man könne die USA nur verstehen, wenn man das Verhältnis seiner Bürger zur Armee verstehe. Dass man wie selbstverständlich Männern in Uniform den Vortritt, sie am Gate zuerst einchecken lasse und wenn man den Respekt der Allgemeinheit vor den Soldaten sehe. Ein Respekt, der nicht verhindert, dass die Veteranen nach ihrem Einsatz vergessen werden, dass nirgendwo die Selbstmordrate höher ist als unter den aus dem Irak und aus Afghanistan zurückkehrten Soldaten.

Dazu der Alltagsrassismus, wenn von Michelle Obama in einem Interview ganz selbstverständlich nicht von der ehemaligen “First Lady”, sondern von “First Monkey” gesprochen wird. Der Wahnwitz einer waffengeilen Nation, wo noch so viele Schulmassaker keine Änderungen in den Waffengesetzen bewirken (das Gesetz stammt von 1791 und wird mit gleicher Ehrfurcht behandelt wie die 10 Gebote); die USA als Land mit den meisten Gefängnisinsassen (und es scheint sich nie jemand zu fragen, warum denn die US-Amerikaner so viel “schlechtere” Menschen zu sein scheinen als alle anderen auf der Welt) – und 99 % dieser Insassen geben an, dass sie an Gott glauben (es wäre unvorstellbar, dass ein bekennender Atheist Präsident würde, während es sehr wohl möglich erscheint, dass Trump eine zweite Amtszeit bekommt). Leider streift Schmidt in seinen Geschichten vom Leben der US-Amerikaner nur diese Religionsfrage, ebenfalls kommt die seltsame Prüderie der US-Amerikaner nicht zur Sprache (wobei man öffentlich lasziv und ordinär auftreten darf (siehe Lady Gaga in der Pause der Super-Bowl), solange damit keine Nacktheit verbunden ist), eine Prüderie, die mit dem höchsten Pornographiekonsum weltweit einhergeht (insbesondere in den “roten” Staaten der Republikaner). Doch auch wenn Teile fehlen, so gelingt es Schmidt dennoch, diese seltsam fremd anmutende Lebensart vorzustellen, ohne Effekthascherei und Pathos, sondern sehr realitätsnah. Ein gut geschriebenes und eindrucksvolles Buch, das sich von den oft platitüdenhaft wirkenden Darstellungen anderer angenehm unterscheidet.


Daniel C. Schmidt: This is America. Berlin: Aufbau 2020. (ebook)

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