Hanns Eisler kennt man vor allem als Komponisten. Sein einziges literarisches Werk ist dieses Libretto hier. Der Text ist meines Wissens vollständig in der Form überliefert, die ihm Eisler gegeben hat. Die Oper aber blieb Fragment – Eisler schrieb offenbar keine einzige Note dafür. Der Grund ist die so genannte „Formalismusdebatte“, die das Libretto auslöste. Kurz zusammengefasst ging es dabei um das Selbstverständnis in Sachen Kunst und Kultur der noch jungen DDR. Nachdem zunächst, ähnlich wie in Russland nach der Russischen Revolution, ein Geist absoluter künstlerischer Freiheit über dem Land wehte (nach den Erfahrungen der repressiven Vorgängerregimes), schlug die offizielle Politik schon bald um. Stalin (Kind eines kleinbürgerlichen Schusters) und Ulbricht (Kind eines kleinbürgerlichen Schneiders) konnten beide letzten Endes weder ihrem Kontrollzwang entsagen noch die Eierschalen ihrer kleinbürgerlichen Erziehung abstreifen. So entstand eine Kulturpolitik, die die ihr genehmen Werke „sozialistischer Realismus“ nannte und die nicht-genehmen als „westlich-dekadent“ abtat, aber die Unterschiede zum Nationalsozialismus waren vor allem welche der Nomenklatur. (Was – zumindest für die DDR – nicht zu verwundern braucht: Oft waren die zuständigen Funktionäre ein und dieselben.) Und wenn Ulbricht höchstpersönlich die Aufführung von Eislers Oper verbot, weil der sozialistische Staat (also: er, Ulbricht, – und hinter ihm natürlich Stalin) es nicht dulden konnte, dass die hehre Figur Goethes und des Faust I parodiert würde, so stellt sich mir höchstens noch die Frage, warum Eisler (der Österreicher war und jederzeit ausreisen konnte – es auch tat, aber wieder zurückkehrte) dies alles erduldet hat. Denn, das lässt sich schon im Libretto, also ohne die Musik, feststellen: Mindestens so wichtig wie Goethes Faust waren für Eislers Johann Faustus das Volksbuch – und Thomas Manns Roman Doktor Faustus, dessen Entstehen Eisler zumindest teilweise mitverfolgen konnte, als er im Exil in Kalifornien in Manns Nachbarschaft wohnte und des öfteren eingeladen war, als Mann aus dem Roman las und man darüber diskutierte.
Aber lassen wir eventuelle Spekulationen und betrachten, was wir haben – nämlich den Text. Sprachlich fällt Eisler gegenüber Schriftsteller:innen von Profession keineswegs ab. Und auch inhaltlich bringt er einen durchaus neuen Faust auf die Bühne.
Dass er an Stelle eines Prologs im Himmel, wie Goethe, seine Geschichte in der Unterwelt beginnen lässt, hat sicher auch ideologische Gründe. Indem er sich auf die griechische Mythologie zurück zieht, Pluto und Charon darüber schimpfen lässt, dass keine echten Bösewichte mehr übergefahren werden könnten, bringt er einen viel weiter in die Vergangenheit reichenden Horizont ins Spiel. Das verstärkt Eisler noch, indem er die Todsünden als die nie versagenden Dienerinnen Plutos einführt – die aber nun doch versagen. Die Welt ist in einem derart desolaten Zustand, argumentieren sie, dass niemand mehr Energie aufbringen könne und eine der Todsünden begehen. Erst Mephisto macht sich anheischig, ein valables Opfer anschleppen zu können.
Ich bin auf dieses Libretto von einem tapferen Leser auf Mastodon aufmerksam gemacht worden, der wusste, dass ich in zwangloser Folge Teufel vorzustellen pflege. Nun ist dieser Mephisto hier in einem wörtlichen. technischen Sinn allerdings kein Teufel, denn er stammt nicht aus der Hölle. Zwar ist seine Heimat, die Unterwelt, irgendwie auch ein Ort des Schreckens, aber die christlich-jüdischen Konnotationen, die ein Teufel in uns üblicherweise erweckt, sind bei ihm im Grunde genommen fehl am Platz, von Eisler aufgehoben worden. (Allerdings wird sich dieser Mephisto hier im Folgenden nicht viel anders benehmen, als wir es von Mephisto im Großen und Ganzen erwarten.)
Interessanter als Mephisto finde ich aber die Figur des Faust. Der ist vierfacher Doktor, und lebt als humanistischer Gelehrter zur Zeit der deutschen Bauernkriege. Es sind denn auch nicht Vergehen gegen christliche Moral, die ihn der Unterwelt verfallen lassen, sondern etwas ganz anderes. Eislers Faust ist der Sohn eines Bauern. Während der Bauernaufstände aber laviert er zwischen den Fronten. Mal ist er eher auf der Seite der Aufständischen, mal eher auf der der Herren. Letzteres zusammen mit Luther, der – was Eisler aber nicht weiter thematisiert – wohl als Sohn eines Bürgers nicht anders handeln konnte, während auch im Text ganz offen von Faust eine Solidarisierung mit dem Stand seines Vaters erwartet wurde.
Als interessante Nebenfigur existiert bei Eisler ein Hanswurst. Der führt sich tatsächlich eine Zeitlang so auf, wie wir es von dieser Figur erwarten. Im Lauf der Geschichte wird er aber immer ernster – denn er, nicht Faust, ist der echte Vertreter des kleinen Mannes, der in der Weltgeschichte immer nur verlieren kann. (Und vielleicht war es dieser Pessimismus, mehr als die Goethe-Parodie, der Ulbricht sauer aufstieß.)
Am besten gelungen in meinen Augen ist der zweite Akt. Hier reist Faust durch die Welt. Sein wichtigster Aufenthalt ist in Atlanta. Der Name steht einerseits sinnbildlich für die USA. Wenn Faust mit Hilfe Mephistos und des Hanswurst verschiedene Bilder aus der biblischen Geschichte beschwört, sind immer auch schwarze Sklaven als Zuschauer dabei. Mit diesen kurzen allegorischen Einlagen greift Eisler eine Praxis des barocken Theaters auf, eine Parodie von Goethe ist damit nicht gemeint. Und mit seinen schwarzen Zuschauern in Ketten prangert Eisler nicht nur die Sklaverei der Vergangenheit an, nicht nur die immer noch existierende Rassentrennung in den USA, er nimmt die Sklaven auch als Allegorie für die Bauern und Arbeiter auf der ganzen Welt. So ist Atlanta auch Atlantis und dieses wiederum das allegorische Bild des Kapitalismus. (Und hier hätte Ulbricht – so er hätte lesen und übers Gelesene mit offenem Geist nachdenken können – dann doch wieder eine optimistische Haltung Eislers feststellen können. Denn, was Eisler sehr wohl wusste: Atlantis ist bekanntlich untergegangen.)
Summa summarum: Eine sehr interessante und auch sprachlich-literarisch gut gemachte Faust-Version, auf die ich hier aufmerksam gemacht wurde. Vielen Dank dafür!
Die erste Ausgabe dieses Libretto in Buchform erschien 1952, noch vor dem Entscheid Ulbrichts, die Aufführung der Oper zu verbieten. Vor mir liegt eine Ausgabe aus der Zeit nach der DDR:
Hanns Eisler: Johann Faustus. In der Reihe Die DDR-Bibliothek und mit einer Nachbemerkung von Jürg Schebera erschienen 1996 in Leipzig bei Faber & Faber.
Auch diese Ausgabe gibt es nicht mehr im Buchhandel.
1 Reply to “Hanns Eisler: Johann Faustus”