Klaus Mann: Mephisto

Was soll man als Autor unternehmen, wenn man immer und immer wieder darauf bestanden hat, dass der soeben fertig geschriebene Roman kein Schlüsselroman sei, sondern man Typen, nicht Porträts dargestellt habe – und die ganze Welt (inklusive ein paar deutscher Gerichte) gegenteiliger Meinung ist? Denn genau das ist Klaus Mann mit Mephisto passiert. (Wobei die Gerichtsurteile lange nach seinem Tod stattgefunden haben, als der ehemalige Geliebte und Adoptivsohn, nunmehr Alleinerbe Gustaf Gründgens‘, Peter Gorski, 1966 eine Publikation des Romans verbieten ließ, da er seinen unterdessen auch schon toten Geliebten darin verunglimpft sah – ein Urteil, das noch 1971 vom Bundesverfassungsgericht der BRD bestätigt wurde. Nun, selbst Bundesverfassungsrichter können sich irren; und noch bis weit in die 1970er Jahre hinein war man in der BRD bemüht, die Zeit des Nationalsozialismus wenn möglich mit dem Mantel des Schweigens zu bedecken – zu viele Leute, die unterdessen wieder in Rang und Würden standen, hatten sich damals genau so wie Klaus Manns Protagonist Hendrik Höfgens bei den Nazis eingeschleimt und mit braunem Schlamm besudelt. Das Verbot galt und gilt übrigens nur für die Ausgabe der Nymphenburger Verlagsbuchhandlung. Bereits 1981 durfte im Rowohlt-Verlag eine Ausgabe des Mephisto erscheinen, ohne dass noch jemand geklagt hätte; auch das Persönlichkeitsrecht Verstorbener scheint zusammen mit dem Leichnam des Toten im Lauf der Zeit zu verwesen … In der DDR durfte das Buch seit je gedruckt werden – wurde es auch ab 1956 fleißig – und wer es lesen wollte, konnte sich sein Exemplar von dort besorgen. Auch hierzulande war es nie verboten, und vor mir liegt eine Lizenzausgabe der in Deutschland verbotenen Nymphenburger-Ausgabe bei der Neuen Schweizer Bibliothek aus den 1970ern.)

Die Frage nun ist: Hat der Autor Recht? Handelt es wirklich nicht um einen Schlüsselroman? Schlüsselromane – da bin ich mit Klaus Mann einig – sind alles andere als das nec plus ultra der Schreibkunst. (Auch wenn – gerade weil! – sie Arno Schmidt sehr geschätzt und überall gesucht hat.) Dennoch: Vieles im Mephisto weist tatsächlich die Züge eines Schlüsselromans auf. Der Roman wurde von Klaus Mann im Exil geschrieben und soll eine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und seinen Helfershelfern sein – jenen, die „nur“ mitmachen, weil sie um ihre Karriere fürchten, den Kriechern, den Speichelleckern. Dieses Ziel impliziert, dass gewisse Eckpunkte „realistisch“ zu sein hatten. Dies bedeutet wiederum, dass einige Figuren „echt“ zu sein hatten; so treten der Dicke (auch: der Fliegergeneral, der fette Riese in der bunten Uniform, der Ministerpräsident) auf und der Hinkende (auch: der Klumpfuß, der Propagandaminister). Beider Namen wird nie genannt, so wenig wie der des Führers, bei dem Höfgens eine Audienz hat. Es war zu jener Zeit allen klar, dass nur Göring, Goebbels und Hitler selber gemeint sein konnten. Auch gewisse Orte konnte man kaum verändern. Hamburg und Berlin als die beiden großen Orte in der Karriere Höfgens‘; Madrid, wo er einen Film drehte; Paris, wo er sich einige Zeit aufhielt, unsicher, ob er nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten nach Deutschland zurückkehren sollte – den einen oder andern Ort konnte man ändern (z.B. Köln statt Düsseldorf als Heimat Höfgens‘ – Hauptsache Rheinland), aber wenn die Geschichte einen Sinn haben sollte, musste darin einiges bleiben, wie es in der Realität war.

Also doch ein Schlüsselroman? Darauf würde auch deuten, dass bis heute im Internet jede Menge an Seiten zu finden sind, die die Personen entschlüsseln. Also: Natürlich ist es auch ein Schlüsselroman. Mann konnte oder wollte die Ereignisse nicht bis zu jenem Punkt ändern, an dem die Personen unkenntlich gewesen wären. Dazu hatte er wohl weder die Zeit noch die Lust. Dennoch ist der Roman mehr als eine bösartige Abrechnung mit dem ehemaligen Freund Gründgens, mit dem ehemaligen linken Genossen, mit dem ehemaligen Schwager, mit dem Mann, der die heiß geliebte Schwester Erika geheiratet, wieder verlassen und vielleicht auch verletzt hatte. (Obwohl es das – aller Proteste Klaus Manns zum Trotz – enen auch ist.)

Aber: In den besten Szenen ist es auch eine brillante Satire auf die Haute Volée der ausgehenden Weimarer Republik, auf die Anpassung so vieler Menschen an die neue Situation. Diese Haute Volée und diese Anpasser gab es schon immer, gibt es heute genau so. Dort, wo Klaus Mann die Gesellschaft jener Zeit beschreibt, kann man ihn in Qualität und Inhalt problemlos mit seinem Onkel Heinrich vergleichen. (Was implizit nun allerdings auch wieder eine Kritik beinhaltet: Klaus Mann schrieb nicht „modern“. Sein Stil und sein Thema waren letztendlich die der Generation seiner Väter – im wahrsten Sinn des Wortes: Wenn seine Väter – bzw. vor allem sein Onkel – die Gesellschaft und das Leben im ausgehenden Kaiserreich satirisch beschrieben, die mehr oder weniger skrupellosen Mitläufer jener Zeit, so tat Klaus Mann dasselbe mit der Weimarer Republik. Heinrich wie Klaus gelang es, ihre Typen so darzustellen, dass sie zeitlos wurden.) Wenn nun Klaus Mann aber versucht, in eine Person einzudringen, ihre Gedanken und Gefühle zu schildern, scheitert er. Er wird umständlich, hölzern. Schlimmer: unnötig pathetisch.

Bei alle dem zeigt Klaus Mann auch die Klauen eines poeta doctus: An Stelle einer Widmung steht vor dem eigentlichen Roman ein Zitat von Johann Wolfgang Goethe. Aber nicht, wie man in Anbetracht des Titels zu denken versucht ist, aus dem Faust, sondern aus Wilhelm Meister. (Es steht tatsächlich nur so da. Ich habe es jetzt nicht nachgeschlagen, vermute aber doch, aus den Lehrjahren.) Oder wenn der originale Gründgens homosexuell war (worüber sich zu moquieren, Klaus Mann in einem frühen Stadium der Arbeit nachgedacht hatte, es aber dann wohl aus nahe liegenden Gründen doch inopportun fand), lebt Höfgens eine masochistische Ader aus. Seine Geliebte / die Prostituierte, die er sich dafür regelmäßig kommen lässt, ist farbig. Ihr Vater war deutsch, die Mutter stammte aus einer der ehemaligen Kolonien – der mütterliche Anteil dominiert aber ihr Aussehen. Höfgens nennt sie denn auch seine Schwarze Venus, und ich denke, dass die Anspielung an Severin von Kusiemskis Venus im Pelz des Ritters Leopold von Sacher-Masoch zu deutlich ist, um Zufall zu sein. Im Dritten Reich wird die junge Frau für den Schauspieler natürlich zum Problem, und er lässt sie durch Schergen des Dicken, dem er sich schließlich doch anvertraut hat, einschüchtern und nach Paris verfrachten. Ihre Stelle als Domina nimmt seine zweite Frau ein. (Das ist vielleicht der Punkt, wo reine Gehässigkeit Klaus Manns dem Ex-Mann seiner Schwester gegenüber ihren Höhe- bzw. Tiefpunkt erreicht.)

Alles in allem kann man feststellen, dass der Roman bis heute lesenswert ist – weil Klaus Mann im Grunde der Dinge Recht hat: Mephisto ist kein Schlüsselroman. Er ist die zeitlose Geschichte eines Mitläufers, dessen Biografie (nicht ganz zufälligerweise allerdings) einige Ähnlichkeiten mit der des Gustaf Gründgens hat. Eines nicht nur bösartigen oder zynischen Menschen (das ist er in Teilen auch – dort, wo Klaus Mann schlecht schreibt). Sondern eines Fehlern und Zweifeln unterworfenen Menschen, eines Schauspielers zum Beispiel, der als Mephisto in Goethes Faust brilliert, aber als Shakespeares Hamlet durchgefallen wäre, hätte man nicht dem Protégé des Dicken so oder so frenetisch applaudiert. Eines Mannes auch, der intelligent und einsichtig genug ist, dies genau zu wissen. Auf diese Weise erhält der Roman neben den satirischen Lichtern die nötige menschliche Tragik.

1 Reply to “Klaus Mann: Mephisto”

  1. Als Erstes will ich darauf hinweisen, daß Gustaf Gründgens sich nicht nur „bei den Nazis eingeschleimt und mit braunem Schlamm besudelt“ hat. Dem Sänger und Schauspieler Ernst Busch hat Gründgens‘ Eingreifen das Leben gerettet, wie man u.a. auch auf Wikipedia nachlesen kann. Und es gab mehrere solcher Fälle, weswegen Gustav Gründgens auch recht schnell durch die „Entnazifizierung“ kam. Wie auch immer man alles sieht, auf der positiven Seite seines persönlichen Kerbholzes hat er mindestens diese eine gute Kerbe. Wäre Gründgens in Ausland gegangen, wäre Ernst Busch 1943 gestorben. Deutlich zuspitzend bliebe die Frage, wie viele positive Kerben auf dem Level von vor dem Tod geretteten Lebens Klaus Mann vorweisen kann?

    Ich selber habe den Roman immer anders empfunden als die meisten anderen: ich empfand ihn nie rein vorwurfsvoll gegen Gründgens wie anscheinend viele andere, sondern ich fand, Klaus Mann stellt die Zwickmühle eines deutschen Schauspielers in dieser Zeit gut dar: wer etwas Geld oder Verbindungen hatte, konnte mit viel Glück ins Ausland gehen, wo es aber keine Arbeit gab. Denn wo immer man hin geht, braucht niemand einen deutschen Schauspieler, denn man hat ja genug eigene (französische, amerikanische, bolivianische usw.).

    Was aber, wenn man kein Geld und keine Verbindungen hat, wenn man aber sein Leben lang darauf hin gearbeitet hat, in dieser einen Sache erfolgreich zu sein, der beste im Land, am besten Ort? Was, wenn das immer verbaut war (durch andere) aber nun möglich ist, zu dem Preis, nahe an die Macht zu geraten, die sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht eindeutig negativ erkennbar gezeigt, sondern zugleich teuflisch gut und böse aussieht? Ein Faustscher Pakt, genau, vor allem bei einem Schauspieler, dessen erste große Rolle am neuen Haus der Mephisto ist.

    Ich fand beim Lesen des Romans diese Entscheidung sehr schwer: weg gehen mit hohem Risiko und wenig Aussicht auf Erfolg im eigenen Beruf, letztlich in den eigenen Zielen grandios scheitern. Oder hierbleiben, das eigene Ziel erreichen (bester Schauspieler im ersten Haus des Landes zu sein), sich dafür aber leider mit der Macht einlassen müssen. Rückblickend ist das einfach zu beurteilen, aber der Roman handelt nicht im Rückblick, sondern damals in der Zeit.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert