J. R. R. Tolkien: The Hobbit

Dass The Hobbit auf Geschichten beruht, die Tolkien ursprünglich seinen Kindern erzählt hat, ist wohl allgemein bekannt. Dass The Hobbit zum Nukleus eines ganzen Erzähluniversums werden sollte, wohl auch. Dass dieses Erzähluniversum mehr und mehr zu einem monetären Imperium mutierte, und Tolkiens Erben nicht nur jedes Fitzelchen aus dessen Nachlass veröffentlichen und zu Geld machen, sondern auch teure Filmrechte vergeben für teuer gemachte Leinwandepen, die ihrerseits wieder jede Menge Geld generieren, wohl auch. Nun, zumindest letzteres kann man ja J. R. R. Tolkien nicht anrechnen.

Ich gebe zu: Ich bin kein Tolkien-Spezialist und nicht zu 100% sicher, wie weit er das Erzähluniversum um Mittelerde schon im Kopf oder auf Papier hatte, als er The Hobbit zunächst erzählte und später niederschrieb. Ich weiß nur, dass er in späteren Auflagen, die er noch selber veranstaltete, das eine oder andere Detail dahingehend änderte, dass es besser zur Fortsetzung im Herrn der Ringe passte. Welche allerdings kann ich nicht sagen. Aber auch der ‘große’ Herr der Ringe, daran halte ich fest, war zu Beginn nicht mehr als eine weitere Erzählung für Kinder und mutierte erst im Laufe dessen, was wir heute als ‘Buch I’ bezeichnen, zu einem großen Epos für Erwachsene. Das zeigt sich daran, dass Tolkien im Hobbit und am Anfang des Herrn der Ringe Wesen einführte, die im Mittelerde-Universum Fremdkörper geblieben sind. Da ist im Herrn der Ringe Bombadil, den die Hobbits zu Beginn ihrer Reise treffen, und der im weiteren Verlauf der Geschichte noch einmal erwähnt wird, aber keine Rolle mehr spielt. Er gehört zu keinem der Völker, die im Zentrum von Tolkiens Welt stehen, und wird auch als unfähig betrachtet, den Ring vor dem Bösen zu schützen, weil er zwar seine eigene Magie aufweist, die der Böse nicht brechen könnte, aber völlig verantwortungslos ist.

Solche Figuren, die nicht zum eigentlichen Mittelerde-Universum gehören, finden wir auch im Hobbit. Smaug, der Drache, der besiegt werden will, ist so eine. Einen Drachen gibt es nur hier. Weder in den vorbereitenden Büchern noch im Herrn der Ringe selber spielen Drachen wirklich eine Rolle. Eine andere solche Figur ist Beorn, der Gestaltwandler. Auch diese Figur oder Verwandte von ihm wird es nicht mehr geben im ausgearbeiteten Universum. Am interessantesten ist vielleicht sein Umgang mit den Wesen, die er auf Englisch goblins (Kobolde) nennt. Hier finden wir ganz zu Beginn des Romans einen Hinweis darauf, dass er, Tolkien, hier den im Original der Hobbit-Sprache orc genannten Begriff übersetzt habe. Eine der späteren Anpassungen? Ich weiss es nicht.

Bösartige Wesen, die in Gruben und Gängen unter der Erde leben? Genau: Hier – mehr als im späteren Herrn der Ringe – finden wir eine deutliche Spur zu der Inspiration Tolkiens: George MacDonalds The Princess and the Goblin, zufälligerweise (?) auch eine Erzählung für Kinder. (Und dessen Held Curdie ist natürlich der Vorläufer von Bilbo Baggins.)

So heißt nämlich der Held der Geschichte, also der Hobbit. Bilbo ist zwar, auch nach Hobbit-Standard (Hobbits werden älter und bleiben deshalb länger Kinder als Menschen), erwachsen. Aber als einer, der seine Heimat noch nie verlassen hat, ist er im Gemüt recht eigentlich kindlich geblieben. Der Erzähler wird manchmal überdeutlich und erwähnt es immer wieder (was natürlich dem Charakter eines Kinderbuchs geschuldet ist), aber The Hobbit ist zunächst einmal eine Erzählung, wie einer auszieht und erwachsen wird. Bilbo nämlich lernt im Lauf der Geschichte Verantwortung zu übernehmen und die Gruppe seiner Zwerge in akuten Gefahrensituationen zu führen.

Es ist Tolkien zu Gute zu halten, dass er seine Figuren – zumindest die ‘Guten’ – durchaus differenziert zeichnet. (Die ‘Bösen’, die Kobolde nämlich und Smaug, sind allerdings ausschliesslich ‘böse’.) Nicht nur der Hobbit hat so seine Macken (er liebt Landkarten über alles – was natürlich im entscheidenden Moment ihm und seinen Freunden auch weiter hilft); und vor allem hat er seine Ängste. Die Zwerge sind ein bisschen hinterhältig und angesichts des Drachen-Goldes verlieren sie vor Gier völlig den Verstand. Die Elfen sind auch nicht alle positiv gezeichnet: Sie halten unsere Zwerge (in Einzelhaft!) in dunklen Verließen fest, und Bilbo kann sie nur überlisten und seine Freunde befreien, weil sie offenbar, zumindest zum Teil, dem Wein sehr ergeben sind; weshalb sich zwei der Chef-Elben so sehr betrinken, dass sie ihre Sinne verlieren und Bilbo ihnen die Kerkerschlüssel entwenden kann. (Notabene: Tolkien polemisiert in keinem Moment gegen das Koma-Saufen; das Verhalten der Chef-Elben wird nicht moralisch gewertet, es ist vor allem offenbar ein Mittel für den Autor, den Zwergen zu Hilfe kommen zu können.) Einzig Gandalf, der Zauberer, scheint keine Macken zu haben – aber dann erfahren wir zu wenig über ihn, um ihn beurteilen zu können. (Was vielleicht genau seine Macke ist.)

Menschen, dies zum Schluss, kommen nur in Nebenrollen vor. Das ist einigermaßen neu im Bereich der Kinderliteratur, und da war Tolkien sicher ein Neuerer. Dass er damit einen derartigen Erfolg feiern würde, war wohl nicht vorherzusehen.

Der Erfolg des Buchs – auch bei Erwachsenen – ist durchaus verdient; auch wenn viele heute wohl ein wenig mit Hobbits überfüttert sind.

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