Spinoza hatte die Abhandlung über die Läuterung des Verstandes lange vor seiner Ethik begonnen, als eine Art erläuternde Einführung in den Problemkreis, mit dem er sich sein Leben lang beschäftigte. Irgendwann brach er die Arbeit an der Abhandlung ab, da er merkte dass diese zu viel seiner Zeit und Energie in Anspruch nahm, ohne je eine Chance auf Beendigung zu haben. Was wir also haben, ist ein Fragment – von dem in meiner Ausgabe wiederum nur Auszüge zu finden sind.
Grob gesagt, versucht Spinoza in diesem metaphysischen Traktat zu erkunden bzw. zu erläutern, was ich [Spinoza] unter wahres Gut verstehe und zugleich, was das höchste Gut ist. Er verwendet Gut hier natürlich nicht im Sinne einer Ware, sondern im Sinne des Guten an und für sich. Das Gute ist das Wahre – diese Gleichung hatte ja schon Platon vollzogen; auch wenn Spinoza gleich im nächsten Satz wieder relativiert, bzw. weiter arbeitet:
Zum richtigen Verständnis muß bemerkt werden, daß die Begriffe Gut und Schlecht nur verhältnismäßig zu nehmen sind, so daß ein und dasselbe Ding sowohl gut als auch schlecht heißen kann, je nach Unterschied seiner Beziehungen, geradeso wie die Begriffe Vollkommen und Unvollkommen. Denn an und für sich, seiner Natur nach betrachtet, kann ein Ding weder vollkommen noch unvollkommen genannt werden; namentlich nachdem wir erkannt haben, daß alles, was geschieht, nach einer ewigen Ordnung und nach Naturgesetzen geschieht. […] Welcher Art aber diese Natur sei, wird an geeigneter Stelle erörtert werden, wo ich zeigen werden, daß es der Gedanke der Einheit ist, nämlich der Einheit des Geistes mit der gesamten Natur.
Ähnlich wie für Platon war also auch für Spinoza klar, dass Erkenntnis des Guten gleich zu setzen sei mit Erkenntnis des Wahren. Wer also das (ethisch) Gute zu erkennen vermag, wird auch das (wissenschaftlich) Wahre erkennen können. In seinen Sätzen finden wir nicht nur seinen Pantheismus in nuce; wir finden auch Descartes‘ Erkenntnistheorie und Francis Bacons Wissenschaftstheorie. Spinoza war alles andere als ein esoterischer Metaphysiker …
Das Ziel war klar – der Weg dahin aber für Spinoza so steinig, dass er die Abhandlung zu Gunsten der Ethik liegen ließ.
Gelesen in folgender Ausgabe:
Spinoza: Die Ethik / Schriften und Briefe. Herausgegeben von Friedrich Bülow. Stuttgart: Alfred Kröner Verlag, 1976. (= Kröners Taschenausgabe Band 24)