Jacob Burckhardt: Die Zeit Constantins des Großen

1853 erschien dieses Werk, als erstes in einer Reihe von Abhandlungen zur europäischen Geschichte bzw. Kunst- und Kulturgeschichte, die wir heute von Jacob Burckhardt haben. Man merkt ihm seine frühe Entstehung insofern an, als die Komposition noch auf wackligen Füssen steht. Es ist nicht immer klar, warum jetzt welcher Teil gerade auf den vorher gehenden Teil folgt; das mag aber auch dem Thema geschuldet sein. Denn Burckhardt berichtet hier von einer recht turbulenten Zeit in der Geschichte des Römischen Reichs (und damit Europas und de facto der Welt).

Mit der Zeit Constanin des Großen (Burckhardt schreibt den Namen des spätantiken römischen Kaisers konsequent mit Anfangs-‘C’) hatte sich der Autor nämlich eine Epoche ausgesucht, die man später – in Anlehnung an Reinhard Kosellek, der den Begriff für den Übergang von früher Neuzeit zur Moderne (i.e. grob gesagt, dem Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert) verwendet hatte – auch schon mal als Sattelzeit bezeichnete: den Übergang von der eigentlichen Antike in die Spätantike. Es ist die Zeit, in der Bürokratie und Hofzeremoniell immer wichtiger wurden und mit der Vererbbarkeit von Hofämtern auch der Adel im späteren mittelalterlichen Sinn entstand. Es ist die Zeit, in der das Christentum plötzlich seinen Charakter änderte, sich von einer Untergrundbewegung, die sich vom Staat getrennt hielt, in eine immer straffer organisierte Kirche verwandelte, die denn auch schon unter Konstantin staatstragend und -erhaltend wurde. Hinzu kommt, dass Konstantin den Grundstein legte zur Gründung jener Stadt, die seinen Namen tragen sollte (also „Konstantinopel“) und in die er das Zentrum der Macht im Römischen Reich weg von Rom verlagerte, was letzten Endes in der Zweiteilung des Römischen Reichs mündete.

Konstantin ist in Burckhardts Darstellung keineswegs der noble Heilsbringer als den ihn die zeitgenössischen christlichen Berichterstatter Laktanz und Eusebius überlieferten. Burckhardt sieht in ihm einen sich von seinen Vorgängern nur wenig unterscheidenden Machtmenschen. Dass er das Christentum favorisierte, war eine Frage der Macht – in diesem Fall der Menge Anhänger, die diese Untergrundbewegung schon gewonnen hatte. Burckhardt will Konstantin nicht einmal die Konvertierung und Taufe auf dem Sterbebett glauben – dass er schon früher Christ geworden sei, schon gar nicht. (Die so genannte Konstantinische Schenkung tut er in einem Nebensatz ab.)

Dass Konstantin nicht anders handeln konnte, als er es tat, gibt ihm Burckhardt sogar zu. Jedenfalls, wenn er tatsächlich Kaiser des Römischen Reichs werden und bleiben wollte, musste er handeln, wie er es tat. Denn darauf legt Burckhardt in seiner Darstellung das größte Gewicht: das Chaos, in welches die ungeregelten Nachfolgefragen beim Tod eines Kaisers das Reich seit dem Tod von Marc Aurel regelmäßig stürzten. Ein Chaos, das das Reich praktisch zahlungs- und handlungsunfähig machte. Das (man ist versucht, zu sagen) Interregnum der Soldatenkaiser bis dann Diokletian das Zepter in die Hand nahm und eine recht komplizierte Regelung mit zwei Augusti und zwei Caesaren installierte, wovon jeder Augustus einen Caesar adoptierte (so das einige Zeit funktionierende Adoptivkaisertum bis und mit Marc Aurel imitierend) und jeder Augustus nur zwanzig Jahre regieren und dann freiwillig zu Gunsten seines Caesars abdanken sollte. Dummerweise funktionierte das System schon zu Diokletians Lebzeiten nicht: Die Abdankung der beiden Augusti Diokletian und Maximinian führte bei den Caesaren und den leiblichen Söhnen der beiden Augusti zu Streit, in dem sich mit der Zeit der ehemalige Caesar und spätere Westkaiser Constantius I. durchsetzte. Constantius durfte nach der Diokletianischen Regelung seinen eigenen Sohn nicht als seinen Caesar einführen und ihn damit zu seinem Erben als Kaiser (Augustus) machen. Das besorgten dann offenbar seine Soldaten nach ihm, und Konstantin (nachmals „der Große“) ließ sich die Chance nicht entgehen. Er war, wie oben schon gesagt, auch intelligent genug, seine Macht mit verschiedenen Maßnahmen zu untermauern. Das von christlichen Apologeten festgezimmerte Ideal eines (gar christlichen!) Herrschers aber kann Burckhardt in ihm nicht erkennen.

Alles in allem sehr interessant, flüssig und süffig geschrieben (was man ihm heute zum Vorwurf machen würde). Dennoch, vom Thema her, wohl eher für Historiker der Geschichtsschreibung, während spätere Werke Burckhardts dann kanonisch werden sollten.

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