L. Frank Baum: The Wonderful Wizard of Oz [Der Zauberer von Oz]

Lyman Frank Baum (1856-1919) mochte seinen ersten Vornamen so gar nicht und zog ihm – völlig untypisch für einen US-Amerikaner – seinen mittleren Namen vor. Typischer für einen US-Amerikaner – jedenfalls, wie wir ihn in Europa als ‚typisch‘ sehen – war es dann schon, dass er ein „Jack-of-all-Trades“ war, ein Hansdampf-in-allen-Gassen, der im Lauf der Zeit verschiedenste Berufe für seinen Lebensunterhalt ausübte: Heute war er Briefmarkenhändler, morgen Hühnerzüchter, übermorgen Verkäufer in einem eigenen Geschäft und nach dessen Bankrott Herausgeber einer kleinen Lokalzeitung. Daneben gehörte seine Liebe seit Kindheit dem Schreiben und dem Theater.

Nun wissen wir alle, dass der Zauberer von Oz keinerlei Magie beherrschte, aber wenn es einen Zauber gab, der ihm glückte, so war es der, Baum aus diesem seinem typisch US-amerikanischen Leben herauszuführen. Das Buch, im Jahr 1900 veröffentlicht, war für den Autor (und den Illustrator W. W. Denslow) ein sofortiger Erfolg, so dass Baum für den Rest seines Lebens ohne größere finanzielle Sorgen seinen Hobbys, dem Schreiben und dem Theater, nachgehen konnte. Unter anderem schrieb er noch dreizehn weitere Bücher, die im fiktiven Land Oz oder darum herum spielten, verfasste sieben Theaterstücke über Oz und vier Kurzgeschichten-Sammlungen.

In einem kurzen Vorwort zu diesem, dem ersten Buch der Serie, lobte Baum zwar die Brüder Grimm und H. C. Andersen für ihre Märchen, die have brought more happiness to childish hearts than all other human creations („den Kinderherzen mehr Glückseligkeit gebracht haben als alle anderen menschlichen Schöpfungen“ – meine Übersetzung), kritisiert die altmodischen Märchen aber gleichzeitig dafür, zu viel Schreckliches und Blutrünstiges zu beinhalten, mit dem deren Autoren eine furchtbare Moral von der Geschicht’ zu erzielen suchten. Das moderne Märchen hingegen, so Baum, leistet Verzicht auf Geistererscheinungen, Zwerge und Feen, weil das Kind im Sinne der modernen Erziehung im Märchen nur noch Unterhaltung zu suchen und zu finden hat. So verzichtet ein modernes Märchen nach Baum auf alles Unangenehme, das darin stehen könnte. Man sieht: Die Diskussion, ob man den kleinen Kindern die Geschichte von der Hexe, die kleine Kinder frisst, vorlesen oder zu lesen geben soll, hat ihre Wurzeln schon am Ende des 19. Jahrhunderts. Bis heute hat man den Kleinen diese Geschichten vorgetragen oder zu lesen gegeben; bis heute hat wohl kaum eines einen bleibenden psychischen Schaden davon getragen, denke ich. Selbst bei Baum, nebenbei gesagt, ist die Theorie im Vorwort eine andere Sache als die Praxis dann im eigentlichen Märchen, wo zum Beispiel geflügelte Affen unter den Helden Terror verbreiten und die Heldin Dorothy der Bösen Hexe des Westens bringen, wo sie als eine Art Haushaltssklavin dienen muss. Auch, nochmals nebenbei gesagt, verkennt Baum natürlich auch (wie die meisten Leser:innen damals wie heute) das ursprüngliche Zielpublikum der alten Märchen, die bei den beiden Grimm ja im Originaltitel noch klar und deutlich Kinder- und Hausmärchen genannt wurden und auch Geschichten beinhalteten, die von Erwachsenen für Erwachsene gedacht waren – die zum Beispiel bei abendlichen Spinnen die Mägde des Hauses einander erzählten. Auch Andersens Märchen waren nicht für Kinder gedacht.

Baum war nun auch nicht der erste Autor und sollte nicht der letzte sein jener (ich nenne sie mal ‚spätviktorianischen‘) Epoche, die ein kleines Mädchen in ein merkwürdiges Zauberland schickten, und sie dort Abenteuer erleben ließen. Da war Lewis Caroll, der Alice ins Wunderland fallen liess, J. M. Barrie, der Wendy und ihre kleinen Brüder von Peter Pan nach Nimmerland entführen ließ oder C. S. Lewis, der letzte aller Viktorianer, der Lucie Pevensie (und dann auch ihre drei älteren Geschwister) im Schrank die Türe nach Narnia finden lässt. Alle bschrieben sie in ihren Werken ein geheimes Land, aber jeder verfolgte mit dessen Schöpfung ein eigenes Ziel. Baum zum Beispiel zeigt an Hand der Vogelscheuche, die kein Hirn hat sondern nur Stroh im Kopf, des Blechmanns, der kein Herz hat, und des Löwen, dem der Mut fehlt, dass es eigentlich nur das Selbstvertrauen ist, das ihnen fehlt. Auch Dorothy selber ist ein Symbol dafür, dass man sich (als Kind vor allem!) nur etwas zutrauen muss, um es auch zu erreichen. Insofern ist dieses Märchen wieder typisch US-amerikanisch.

Der einfache und leicht verständliche Stil trug ebenso zur Popularität von The Wonderful Wizard of Oz bei wie die MGM-Verfilmung von 1935 mit Judy Garland in der Hauptrolle. Doch gerade dieser Stil ließ viele Kritiker:innen denken, das Buch sei literarisch wertlos. Und dass es bei Baum auch gute Hexen gibt, ärgert bis heute fundamentale Christen in den USA …

Eigentlich müsste man das Buch also nur schon deswegen lesen, besprechen und verbreiten.

Ansonsten handelt es sich aus erwachsener Sicht eines Europäers um eine nette, aber harmlose Lektüre zum Zeitvertreib. Das Buch ist sicher besser, als man bis weit ins 20. Jahrhundert zu denken beliebte. Ob es pädagogisch wertvoll sei, mögen berufenere Geister entscheiden als ich.

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