Ernst Moritz Arndt: Die schönsten Märchen

Bild einer jungen Frau in der Natur. Ausschnitt aus dem für das Cover verwendeten Gemälde "Die Nymphe Krokowa" von Moritz von Schwind.

Ernst Moritz Arndt war seinen Zeitgenossen vor allem bekannt als Verfasser so genannter „Freiheitslieder“, d.h., Lieder, in denen zum deutschen Widerstand / Kampf gegen die französischen Besatzer unter Napoléon aufgerufen wurde. Darin zeigte sich Arndt als Eisenfresser und Franzosen-Hasser erster Güte. Besonders beunruhigend (aus heutiger Sicht) ist die Tatsache, dass Arndt in diesen Gedichten mit ungeheurem sprachlichen Geschick Kriegshetze, Franzosenhass und sein konservativ-protestantisches Christentum vermischte und so die Kriegshetze auch in christlichen Kreisen akzeptabel machte. Heute wird er vor allem wegen seiner antisemitischen Äußerungen an den Pranger gestellt. Ich habe keine seiner theoretischen bzw. politischen Schriften gelesen, mag also dazu nichts sagen. (Nur dies am Rande: Wenn die deutschen Universitäten und Schulen endlich ihre seltsame Sitte ablegen würden, sich nach ihren Stifter:innen, berühmten Lehrer:innen oder Schüler:innen zu benennen oder einfach nach irgendeinem klassischen Promi, so hätte sich Greifswald jede Menge Diskussionen und böses Blut sparen können.)

Nun aber zu Arndts Märchen. Die sind nämlich sind völlig frei von Kriegstreiberei, Hass auf das Nachbarland Frankreich oder Antisemitismus. Sein konservativ-christliches Glaubensbild allerdings scheint auch hier auf. Ähnlich wie die der Brüder Grimm (deren Märchen Arndt natürlich kannte) ist auch diese Märchenwelt hier strikt in Gut und Böse aufgeteilt. Während aber bei den beiden Grimm die Moral von der Geschicht‘ zwar evident ist, aber selten offen ausgesprochen wird, hängt Arndt durchaus noch gern eine moralische Schlussanwendung an seine Märchen. Sein Weltbild ist entsprechend seiner Einstellung sehr restriktiv. Reichtum ist ein Zeichen von Gier; reiche Menschen sind meist auch böse Menschen. Ein Leben in Armut und Bescheidenheit hingegen ist erstrebenswert und wird in einer anderen Welt auch belohnt. Das Stadtleben ist böse; das Leben auf dem Land, der Erwerb von der Scholle, bringt irdisches und himmlisches Glück. Last but not least ist das Bild der Frau – vor allem der Schwiegermutter – alles andere als positiv. Selten finden wir in der Literatur so bösartige Schwiegermütter wie die Arndts.

Das klingt, zugegeben, wenig interessant und nicht lesenswert. Dennoch halte ich Arndts Märchen für einen Glücksfall der deutschen Literatur. Seine Kunstmärchen sind sprachlich gewagter und damit gewaltiger als die fein zurecht gebosselten Märchen der Brüder Grimm. Auch sind bei den Grimms die Guten wie die Bösen wie vorhersehbar ablaufende Uhrwerke konstruiert, bei Arndt tun sich in den Figuren oft Abgründe auf. Das liegt auch daran, dass er immer wieder auf bereits existierende Mythen und Sagen zurück greift. Alle seine Geschichten sind genau verortet (oft auf Rügen, seiner Heimat). Oft tritt kurz ein Ich-Erzähler ins Bild, der seine Gewährsleute angibt und diese auch zeitlich verortet. Des Weiteren ist die ‚Mechanik‘ der Grimm’schen Märchen klar und eindeutig, die Grimms gehen in ihrer Bearbeitung der Quellen systematisch so vor, dass die Guten und die Bösen gut und böse nur auf einem bescheidenen (biedermeierlichen) Niveau sind. Wenn bei Arndt hingegen der Teufel auftritt (zum Beispiel als Rattenkönig Birlibi), dann ist das noch jene Figur, an deren reale Existenz der selige Martin Luther glaubte. Zu dieser (ich bin versucht zu sagen) nicht-linearen Mechanik gehört auch, dass bei Arndt die Regeln des Spiels unterm Spielen geändert werden. Wenn die unschuldig verfolgte gute Jungfrau einen Weg gefunden hat, diese ihre Unschuld zu beweisen, zeigt sich erst im Moment der Durchführung, dass zur Erfüllung weitere Bedingungen existierten, von denen weder sie noch wir Lesende vorher wussten. Auch enden nicht alle Märchen einfach mit einem Happy Ending. Bei ein paar ist dieses Ende suspendiert: Es kann sein, dass es in Zukunft mal jemandem gelingt, die Bedingungen zur Befreiung der Jungfrau alle zu erfüllen – aber bis dahin muss sie weiter im unterirdischen Schloss schmachten.

Arndts Märchen sind also durchaus lesenswert, finde ich.


Vor mir liegt ein kleines Schätzchen, eine liebevoll gestaltete Auswahl:

Ernst Moritz Arndt: Die schönsten Märchen. Mit einem Vorwort von Ursula Schulze und sechs Illustrationen von Moritz von Schwind (1804-1871) und zehn Scherenschnitten von Philipp Otto Runge (1777-1810). Kartoniert, Fadenheftung und Lesebändchen. Zwar sind die Illustrationen nur schwarz-weiß wiedergegeben, aber dafür in hoher Auflösung, so, dass man erkennen kann, was abgebildet ist.

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