Johann Jakob Bachofen: Das Mutterrecht

Auf dunklem (violettem) Hintergrund die Schrift "Das Mutterrecht" in orange, darunter "suhrkamp taschenbuch" in weiß. - Ausschnitt aus dem Buchcover.

Bachofen wurde mit gerade mal 25 Jahren auf den Lehrstuhl für Römisches Recht der Universität Basel berufen, verzichtete aber noch im gleichen Jahr auf Stellung wie Gehalt. Ein weiteres Jahr lehrte er noch als Privatdozent, dann beendete er seine Lehr-Laufbahn und widmete sich seinen Forschungen als Privatgelehrter. Darin aber war er äußerst fleißig, wie nur schon die für die damalige Zeit immense Liste seiner Schriften bezeugt. Die meisten davon stammen aus dem historischen Bereich.

1861 erschien in zwei Bänden das vorliegende Mutterrecht. Es ging seinerzeit relativ unbeachtet durch, einzig dafür, dass er seine Quellen sehr unkritisch behandelte, wurde er von den Fach-Historikern getadelt. Gemeint ist, dass Bachofen im Mutterrecht als Belege seiner Thesen alle möglichen Mythologien und Mythologeme bei allen möglichen Autoren (Herodot, Platon, Plutarch, Pausanias, Lukian, Homer und die Argonautensaga des Apollonius bis hin zu Aischylos etc. etc.) zusammensuchte und bei jedem darauf schloss, dass, was darin von diesem oder jenem Volk erzählt werde, einer historischen Tatsache entspreche – ohne zum Beispiel zu berücksichtigen, dass gerade die antiken Athener ihren griechischen Feinden sehr viel nachsagten, nicht weil es wahr war, sondern um sie in ein schlechtes Licht zu stellen. (Ja, diese Technik hat nicht erst das 21. Jahrhundert erfunden!) Das Buch wurde dann aber erst in den 1920ern bekannter, als es Ludwig Klages in einem esoterischen Kreis Eingeweihter über den grünen Klee lobte. So kamen Rainer Maria Rilke, Thomas Mann oder Walter Benjamin damit in Kontakt, die es ihrerseits weiter empfahlen (weshalb meine Ausgabe mit einem Satz von Bloch für sich werben kann). Der Durchbruch kam in den 1970ern, als der Feminismus das Buch entdeckte. Seither gehört es zu diesen seltsamen kalten Unterströmungen, die der Fluss der (deutschen) Literatur- und Geistesgeschichte kennt.

Dabei war Bachofen alles andere als ein Frauenrechtler im heutigen Sinn, Das Mutterrecht alles andere als eine feministische Kampfschrift. So etwas kann man von einem erzkonservativen, gläubigen Christen des ausgehenden 19. Jahrhunderts wohl kaum erwarten. Aber Bachofen war einer der ersten, die sich mit den Strukturen einer Gesellschaft auseinandersetzten und dafür Gesetzmäßigkeiten zu entdecken suchten – einer der ‚Erfinder‘ der Soziologie sozusagen. Bachofen war der Meinung, dass – egal in welcher Gesellschaft auf welchem Kontinent dieser Erde – die Frühzeit jedes Mal ähnlich ausgesehen haben muss.

Ausgangspunkt einer solchen Gesellschaft ist eine Stufe, die er Hetärismus nennt. Im antiken Griechenland waren die Hetären eine Art Edelprostituierte – in Kunst, Kultur, Musik, Literatur und Philosophie hoch gebildet und entsprechend angesehen. Es war, anders gesagt, für die Frau praktisch die einzige Möglichkeit, einen gesellschaftlichen Status zu erreichen, der über den einer Gattin, Mutter, Hausfrau hinausging bzw. davon unabhängig war. Bachofen aber nimmt von der ‚Hetäre‘ nur den Charakter der Prostitution und stellt den noch dazu so schlecht wie möglich hin. Im von ihm postulierten Hetärismus nämlich gibt es noch keine Ehe. Es gibt zwar Kinder, aber niemand weiß genau, wer Vater und Mutter eines jeden Kindes sein könnten. Sexualität wird beliebig ausgelebt. Bachofen hätte besser statt von Hetärismus von einer promuisken Gesellschaft gesprochen, aber er konnte wohl nur so von einer Zeugung im Sumpf schreiben – was ein sehr bezeichnendes Licht auf Bachofens Auffassung von Sexualität wirft.

Irgendwann, so verstehe ich Bachofen, wurde es offenbar den Frauen im Hetärismus zu bunt. Die edleren Frauen wirkten darauf hin, dass Sexualität nur noch in der Einehe gelebt wurde. Das Matriarchat (oder, wie es Bachofen nennt: die Gynaikokratie) war geboren. Allerdings kann Bachofen kaum Gynaikokratien nachweisen, die tatsächlich existiert haben; er schließt aus Erzählungen über matrilineare Namensgebungen darauf, diese die betreffenden Völker vor kurzem erst noch im Mutterrecht gelebt haben müssen. Diese Gynaikokratien stellen eine höhere Entwicklungsstufe der Völker dar als der Hetärismus, aber noch nicht die höchste. Die Entscheidungen im Staat (so weit von einem Staat die Rede sein kann) fällen die Frauen, was nicht heißt, dass die Männer nicht als Krieger tätig werden können bzw. müssen. (Denn, wenn die Frauen zu Kriegerinnen werden, im Amazonentum, ist das für Bachofen eine Ausartung der Gynaikokratie. Nur andeutungsweise (ein paar Mal bei Sagen um den Gott Apollon und bei den Sagen um Alexander den Großen und seine Kämpfe mit Amazonen) wird die höchste, die geistige Stufe der gesellschaftlichen Entwicklung thematisiert: Der Mann, der nicht nur in den Krieg zieht, sondern auch den Staat und die Familie anführt. Bachofen vermeidet es, ihn beim Namen zu nennen, aber Formulierungen wie Lichtgestalt für Apollon deuten ganz klar darauf hin, wo er die allerhöchste Stufe der Gesellschaft sieht: bei einem Leben in Jesu Christo.

Alles andere als ein Frauenrechtler also, dieser Bachofen, auch wenn er als wohl einer der ersten die Situation der Frau als solcher wissenschaftlich thematisierte. Im Übrigen ist der Text einigermaßen schwer zu lesen, denn Bachofen kommt von Steinchen aufs Stöckchen. Analogien haben eine magische Wirkung auf ihn, und wenn er irgendwo etwas findet, das auch nur entfernt so klingt wie ein Aspekt der Gesellschaft, des Volkes, den er gerade bespricht, so wird er diesen Faden weiter verfolgen. Und so können wir denn auch schon mal in kürzester Zeit von Kreta über Schwarzafrika bei den Inka landen, oder in einer Aufzählung, wo überall von Indien bis zu den Galliern wir von Amazonen gehört haben. Ich sage es selten, auch auch hier nur ungern, aber: Es empfiehlt sich, eine gekürzte Ausgabe zu lesen, wenn man sich nicht auf Bachofens Mutterrecht spezialisieren will. Dann aber wird man zumindest ob des Ideenreichtums nur staunen.


Zu empfehlen ist zum Beispiel die Ausgabe, die ich selber gelesen habe:

Johann Jakob Bachofen: Das Mutterrecht. Eine Untersuchung über die Gynaikokratie der alten Welt nach ihrer religiösen und rechtlichen Natur. Eine Auswahl herausgegeben von Jürgen Heinrichs. Frankfurt/M: Suhrkamp, 91997. (= suhrkamp taschenbuch wissenschaft 135) [Eine Ausgabe, die meines Wissens in unterdessen der 11. Auflage immer noch lieferbar ist.]

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