Über weite Strecken des Buches wird ohnehin nicht klar, wie Eilenberger denn nun zu den vorgenannten Philosophen steht: Einiges klingt durchaus kritisch, anderes wieder ist völlig belanglos, vieles wird bloß referiert, ohne dass dem Leser deutlich würde, welchen Sinnzusammenhang Eilenberger mit diesen seinen Zitaten, Beschreibungen verfolgt. Eines allerdings ist von Anfang an klar: Es geht nicht um eine Auseinandersetzung mit den Gedanken der Autoren, sondern um eine eingängige, mit Anekdoten geschmückte Erzählung, die Aufmerksamkeit (und hohe Verkaufszahlen) erheischt: Warum sonst sollte man sonst die sadomasochistischen Sexpraktiken Adornos erwähnen oder auf die Strichliste der pubertierenden Sontag bezüglich ihrer sexuellen Kontakte hinweisen? Das nennt man dann wohl für „ein breiteres Publikum“ geschrieben, das in einem angeblich mit Philosophie sich beschäftigenden Buch auch auf ein bisschen delikatere Weise unterhalten zu werden wünscht.
In philosophischer Hinsicht ist das Buch völlig belanglos: Denn man kann noch nicht mal den ohnehin wohl zum Scheitern verurteilten Versuch erkennen, die behandelten Philosophen als „neue Aufklärer“ zu installieren. Dass diese Absicht vorgelegen hat (wie erwähnt lässt der Inhalt auf alles und jedes Rückschlüsse zu, weil zumeist nur recht zusammenhanglos zitiert, erzählt wird) zeigt erst das Nachwort mit dem Satz: „Vielmehr sind sie (die vier Philosophen) beispielhafte Verkörperungen eines Lebens im Sinne der Aufklärung.“ Und dabei denkt der Autor durchaus an Aufklärung im Kantschen Sinne: Sich der Vernunft zu bedienen, um der ansonsten selbstverschuldeten Unmündigkeit zu entgehen.
Adorno als Aufklärer: Weil er gemeinsam mit Horkheimer die „Dialektik der Aufklärung“ geschrieben hat, ein Buch, das sich in seiner Aussage kaum von offen gegen die Aufklärung gerichteten Büchern wie Heideggers „Holzwegen“ unterscheidet, aber seine Wissenschaftsfeindlichkeit hinter moralisierendem Antifaschismus verbirgt? Adorno, der gegen den „Neger-Jazz“ gewettert hat, weil er sich in seiner wohlfeilen spießbürgerlichen Welt zwar mit linken Attributen geschmückt hat (der vermeintliche Vorteil der Linken besteht immer darin, dass sie für sich eine moralisch untadelige Haltung in Anspruch nehmen und damit meinen sich von den dumpfen Rechten wohltuend zu unterscheiden, während aber – etwa in Bezug auf die Wissenschaftsfeindlichkeit – kaum Differenzen auszumachen sind – schlicht, weil Blödheit von politischen Haltungen unabhängig zu sein pflegt), dessen Horizont aber von kleinlich-opportunistischen Überlegungen beschränkt war (weshalb er auch einen Antrag auf Aufnahme in die Reichsschrifttumskammer stellt (man will doch sein Dozentendasein nicht einfach wegen ein paar Nazis aufgeben?). Dialektik der Aufklärung: Die linksdrehende Variante dumpfer Wissenschaftskritik, die in dümmlicher Verkürzung Wissenschaft mit Nationalsozialismus verknüpft (was vollkommener Unsinn ist: Die Nazis hatten bestenfalls eine „teutsche“ Wissenschaft im Sinn, waren aber ansonsten häufig Edelesoteriker (wobei eine ihrer Säulenheiligen, Helena Petrovna Blavatsky, noch heute – und wenig zufällig – in Waldorfschulen höchste Anerkennung genießt) oder aber Wissenschaft mit Kolonialismus und uneingeschränkten Kapitalismus gleichsetzt, von instrumenteller Vernunft schwadroniert.
Foucault als Aufklärer? Er war vielmehr der postmoderne Vordenker von Verschwörungstheoretikern jedweder Couleur, für den sämtliche Institutionen (etwa auch Krankenhäuser) einzig dem staatlichen Machtmonopol dienten, ein Verfechter des „deep state“ Jahrzehnte bevor Q-Anon-Anhänger nun endlich ihre an Foucault gemahnende Agenda in Regierungskreisen salonfähig gemacht haben. Die Vernunft, die mit der Idee der Aufklärung eng verbunden sein sollte, war für ihn auch einzig ein Mittel zur Unterdrückung des Volkes, alles, was nur ganz entfernt einem organisierten und planmäßigen Unterfangen gleicht, gerät bei ihm unter Generalverdacht, dient der Repression (und viele der vermeintlich Unterdrückten dürften von diesem ihrem Unglück nichts gewusst haben).
Und zum guten Ende noch Feyerabend, Wegbereiter jedweden esoterischen Unsinns, Vorläufer von windigen Figuren wie Fritjof Capra, Freund von Hans-Peter Dürr, der nicht nur das Max-Planck-Institut, sondern auch weite Teile der Physik mit seinem ganzheitlichen Gesülze in Misskredit gebracht hat. Alles, was Feyerabend ab den 70ern geschrieben hat, kann man mit gutem Gewissen der Altpapiertonne überantworten, manches wie „Erkenntnis für freie Menschen“ ist derart abgründig peinlich, dass bei fortgesetzter Lektüre das Fremdschämen zu einer körperlichen Qual gerät.
Stellt sich natürlich die Frage: Wie kann man sich entblöden, diese Leute als Vertreter einer „neuen Aufklärung“ zu bezeichnen, sie „als Verkörperungen eines Lebens im Sinne der Aufklärung“ darzustellen? Ich bin diesbezüglich zwiegespalten (ähnlich wie in der Frage, ob Trump um seine eigenen Lügen weiß oder sie bereits glaubt): Es ist wohl eine Kombination aus intellektueller Beliebigkeit und ökonomischen Kalkül. Glaubt Eilenberger wirklich seinen in diesem Buch verbrochenen Stumpfsinn? – ich kann es mir kaum vorstellen. Vielmehr vermute ich, dass es ihm schlicht um Aufmerksamkeit geht, um Freude an der Provokation und – natürlich – um finanzielle Belange. Jemand mit großem Ego und überaus elastischem Rückgrat. Nichts Besonderes im Grunde – warum sich darüber echauffieren? Weil es solche Leute sind, die jene Saat von geistiger Beliebigkeit säen, die Trump, Kickl, Musk & Co möglich machen, die den Boden bereiten für haltlosen Relativismus, abstruse Lügen, Verschwörungstheorien. Foucault oder Feyerabend wären heute bei Corona-Spaziergängen anzutreffen, Leute wie Eilenberger verleihen diesem Schwachsinn höhere, philosophische Weihen und verdienen damit ihr Geld. Ob da ein Überzeugungstäter oder ein billiger Opportunist am Werk ist – keine Ahnung. Beides ist einigermaßen ungustiös.
Wolfram Eilenberger: Geister der Gegenwart. Die letzten Jahre der Philosophie und der Beginn einer neuen Aufklärung. Stuttgart: Cotta’sche Verlagsbuchhandlung 2024.