Rudolf Carnap: Der logische Aufbau der Welt

In schwarzer Schrift auf grünem Hintergrund stehen auf zwei Zeilen die Worte: "Der logische Aufbau // der Welt". – Ausschnitt aus dem Buchcover.

Mit diesem Buch (seiner Habilitationsschrift, wenn ich mich richtig erinnere) schrieb Carnap so etwas wie die Bibel des logischen Positivismus. Es ist in der ersten Auflage 1928 erschienen, aber noch im Vorwort zur zweiten Auflage von 1961 findet der Autor darin wenig Substanzielles, das er dreißig Jahre später anders sieht. Die Rezeptionsgeschichte des Buchs ist stark beeinflusst vom persönlichen Schicksal Carnaps, der 1936 vor dem Nationalsozialismus in die USA floh. (Was 2025 die Nebenfrage aufwirft: Wohin könnte er sich heute flüchten?) Carnap verschwand nämlich für einige Zeit aus dem Gedächtnis der deutschen Philosophie und als er zurückkehrte, war es die US-amerikanisch / englische Interpretation seines Werks, die übernommen wurde. Anders gesagt: Man rezipierte vorwiegend den Logiker Carnap. (Ähnlich erging es ja auch Ludwig Wittgenstein.)

Dabei zeigt eine etwas unvoreingenommenere Lektüre des Logischen Aufbaus der Welt, dass Carnap seine Ansichten aus mindestens drei verschiedenen Quellen zog, drei zum Teil recht verschiedene, ja fast unvereinbare Positionen zu vereinen suchte. Zum einen ist da natürlich die logische Fassung der philosophischen Sprache, wie sie Carnap vor allem bei seinem Lehrer Frege findet und in den Principia Mathematica von Whitehead und Russell (sowie in anderen Schriften der beiden). Die Welt der Principia allerdings ist eine äußerst abstrakte, erkenntnistheoretisch arme. Hier greift Carnap auf Ernst Machs Empirismus zurück. Dessen Sinnesdaten werden bei ihm zum Erlebnis. Last but not least – und vielleicht ist das auch dem zunehmenden historischen Abstand geschuldet und dem Umstand, dass wir heute ihre logische Fassung nicht mehr als das Nec plus ultra der Philosophie betrachten – wird in letzter Zeit immer mehr der Einfluss des Neukantianismus auf den Wiener Kreis (zu dem Carnap zählte) in den Vordergrund gerückt.

Nicht, dass Carnap ihn irgendwie zu verstecken sucht. Vor allem die Marburger Schule (und daraus Paul Natorp) wird von ihm sogar einige Male zitiert. Auch sonst finden wir so einige Spuren. Die anti-metaphysische Einstellung, die Carnap im vorliegenden Text zu Tage legt, ist ja nicht nur eine Erfindung der englischen Logiker. Auch der Neukantianismus kennt sie und kennt die Bevorzugung aktueller (Natur-)Wissenschaft. Der logische Aufbau der Welt, ist, anders es als der Titel suggeriert, gerade keine Ontologie sondern reine Epistemologie. Anders als die angelsächsischen Logiker vor und nach ihm, aber unter Einfluss Machs und des Neukantianismus, versucht Carnap in diesem Buch eine Art empiristischer Rekonstruktion der Wissenschaft, definiert durch unsere Erkenntnis der Außenwelt. Ganz im Sinne Machs und des Neukantianismus geht Carnap von einer eigen-psychischen Basis des Erkennens aus. Obwohl er die Psychologie verbal ebenso zurückweist wie Riehl, fällt er de facto dennoch in deren Falle. Anders als Wittgenstein (dessen Tractatus logico-philosophicus er gelesen hat und zitiert!) hält Carnap nicht bei einer logischen Beschreibung der Außenwelt an, sondern sucht Lösungen bzw. Beschreibungen für jenen Hiatus zwischen Eigenkörper (Leib) und Fremdkörper. Phänomenologische Ansätze verwerfend, setzt er sich auseinander mit der gutem altem Leib-Seele-Problematik, für die er dann auch keine wirkliche Lösung findet. Er macht sich lustig über Kants (und Aristoteles’) Kategorien-Fimmel – vor allem Kant hat sich ja wirklich ein bisschen allzu sehr von seiner Liebe zur Symmetrie hinreißen lassen –, ohne zu realisieren, dass er selber, mutatis mutandis, in seiner Einteilung von Gegenstandsformen ein ähnliches Gebäude künstlicher Einteilungen hinstellt, das kaum oder gar nicht in den Fakten verankert ist.

Dennoch und summa summarum: Ein Re-Assesment (wie man, glaube ich, neuhochdeutsch sagt) Carnaps wäre nötig und würde sich lohnen. Seine Ansätze sind immer noch interessant.


Meine Ausgabe:

Rudolf Carnap: Der logische Aufbau der Welt. Hamburg: Meiner, 1998

Ansichten seit Veröffentlichung bzw. 17.03.2025: 1

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