2011 hat Chad Harbach mit seinem Erstling The Art of Fielding in den USA Furore gemacht, jetzt, 2012, wollen die Kritiker, dass er auch im deutschsprachigen Raum Furore machen solle. Als „the Great American Novel“ wird der Roman angepriesen, und die Kritiker überschlagen sich.
Im übrigen tun sie sich hierzulande naturgemäss etwas schwer damit. Baseball spielt eine wichtige Rolle im Roman – eine ur-amerikanische Sportart, deren Regeln wohl auf dieser Seite des Atlantiks bis heute keiner begriffen hat. Um ehrlich zu sein: Was daran spannend sein soll, ist mir bis heute nicht klar geworden … Einer schmeisst einen Ball, ein anderer haut mit einem Stöckchen drauf, und ein Dutzend oder so nochmals andere versuchen, den Ball zu fangen, während einer oder zwei ums Feld herumrennen. Wie soll also ein Europäer einen Roman rezensieren, in dem die Finessen einer Sportart diskutiert werden, die er nicht kennt? Wenn dann noch erschwerend hinzukommt, dass nicht nur Baseball ihm ziemlich fremd ist, sondern auch das übrige Setting – ein kleines Liberal Arts College mitten in der amerikanischen Provinz – mit seinem Lebensstil, seinen delikaten Regeln etc. mindestens ebenso fremd?
Dabei, und das ist das Schöne an diesem Roman, muss man im Grunde genommen keine Ahnung von Baseball haben, um den Roman zu goutieren. So, wie der Leser von Science Fiction all die Gadgets und Devices seiner Helden akzeptiert, muss halt der Europäer die Fachtermini akzeptieren. Schliesslich ist Baseball nur das Vehikel, auf dem Harbach den Sinn seiner Geschichte transportiert. Und er ist nicht einmal das einzige Vehikel, nicht einmal das wichtigste.
Als Coming-of-Age-Geschichte wird Die Kunst des Feldspiels auch angepriesen und auch das stimmt ebenso, wie die Interpretation als Sportroman. (Es macht einen guten Roman aus, dass er verschiedene Interpretationen aushält, die alle „richtig“ sind.) Sie ist vielleicht sogar noch ein bisschen stimmiger. Wenn und falls man als Protagonisten nicht einzig den Baseball-Shooting-Star Henry Skrimshander (ausgesprochen übrigens „Skrim-Shander“) in Betracht zieht, sondern die ganze Gruppe von fünf Personen, deren Leben über ein paar Jahre geschildert wird.
Diese Gruppe besteht einmal natürlich aus Henry Skrimshander, einem jungen Baseball-Talent aus der tiefsten amerikanischen Provinz, der zufällig von einem andern Baseball-Spieler und College-Studenten, Mike Schwartz, beim Trainieren entdeckt wird. Denn Skrimshander hat die Begabung, die Flugbahn eines Balls quasi im voraus zu erahnen und so ohne sichtbare Anstrengung immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu stehen. Schwartz ist Student jenes erwähnten Liberal Arts Colleges am Michigan-See – auch immer noch in der Provinz, wenn auch nicht mehr ganz so tief, wie die, aus der Skrimshander stammt. Nummer 3 der Gruppe ist Owen Dunne, mit dem Henry das Zimmer am College teilt. „Dein schwuler, mulattischer Mitbewohner“, wie er sich Henry (und dem Leser) gleich selber vorstellt. Des weiteren haben wir den Präsidenten des College, Guert Affenlight, der spät – zu spät – seine Homosexualität entdeckt und sich in Owen verliebt. Last but not least, seine erwachsene Tochter Pella, die aus ihrer gescheiterten Ehe von San Francisco zurückfliegt an den Michigan-See, in Papas College. Sie verliebt sich vor Ort in Schwartz, ist dann mit Skrimshander zusammen, danach wieder mit Schwartz, und stellt so das weibliche Element dar, ohne das die reine Männerwelt des Baseball nicht funktionieren würde, mit dem es aber auch nicht so richtig funktionieren will – nicht zuletzt, weil Pella sich selber zugeben muss, dass sie die Rituale männlicher Konkurrenz und dann aber auch wieder männlichen Verzeihens nicht versteht.
Die Folie des Geschehens, sein Hintergrund, aber wird gebildet aus literarischen Reminiszenzen, vor allem an die sog. „American Renaissance“, jener Epoche der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als die USA einige Autoren von Weltrang hervorbrachte. Affenlight gilt als Melville-Spezialist: Er weiss ganze Passagen aus Moby-Dick auswendig und trägt die jeweils auch in seinen Vorlesungen vor. Whitman und Emerson sind ebenso präsent. (Neben den amerikanischen Postmodernen ist es diese „American Renaissance“, die auch der Autor selber liebt.) Melville und Whitman bringen u.a. die homosexuelle Note ins Spiel, Emerson die der unbedingten Liebe.
Die Geschichte der fünf Hauptpersonen wird sehr geradlinig erzählt. Rückblenden gibt es, aber auch die sind klar definiert und strukturiert. Auch bei seinen erzählerisch-poetischen Mitteln greift Harbach also auf Melville zurück. Inhaltliche Anspielungen sind sowieso Legion. Der Michigan-See vertritt Melvilles Meer, der Kapitän der Baseball-Mannschaft den Schiffskapitän (und wenn Ahab ein Holzbein hat, so Schwartz zwei kaputte Kniegelenke, die früher oder später mit künstlichen ersetzt werden müssen).
Doch während in Moby-Dick Kapitän Ahab und sein Schiff, die „Pequod“, in einem dramatischen Kapitel untergehen und mit ihnen praktisch die ganze Mannschaft, verläuft das entsprechende Kapitel in der Kunst des Feldspiels weniger blutig-tödlich. Die Baseball-Mannschaft des Kapitäns Mike Schwartz gewinnt sogar die Meisterschaft – einerseits, weil die Mannschaft im entscheidenden Moment weit über sich hinauswächst, andererseits, weil Henry Skrimshander, der die Mannschaft zuvor im Stich gelassen hat, in einer einzigartigen Aktion bereit ist, sich für die Mannschaft zu opfern. Er wird dabei zwar verletzt, aber er überlebt. (Und sein Gegner wird disqualifiziert, was dazu führt, dass die gegnerische Mannschaft auseinander bricht.) Zum Schluss finden wir Henry bereit, sich der Mannschaft als neuer Kapitän zur Verfügung zu stellen, obwohl er einen Job in einer grösseren, bekannteren Mannschaft in Chicago angeboten erhält. Aber er will Schwartz, der nun Trainer geworden ist, so wenig im Stich lassen, wie der ihn in seiner Lebenskrise zuvor im Stich gelassen hat.
Und somit ist dieser Roman auch eine Liebeserklärung an die amerikanische Provinz und ihre Werte, ihre Ideale. Und alles in allem tatsächlich eine lesenswerte Neuerscheinung des Jahres 2012.