Chad Harbach liest im „Kaufleuten“ (15.09.2012)

Zugegeben, es ist ein bisschen prätentiös, wenn ich diesen Artikel hier auch unter „Reisen“ ablege, bestand doch meine Reise an die Lesung von Chad Harbach lediglich aus einer Fahrt mit der S-Bahn über ein paar Stationen. Immerhin …

Auf die Lesung und überhaupt auf den Autor hat mich eine Freundin hingewiesen, die die Lesung besuchen wollte und Begleitung suchte, weil ihr Lebenspartner keine Lust hatte hinzugehen. (Und die dann zum Schluss mit ihrem Lebenspartner etwas ganz anderes unternahm, so dass ich alleine an die Lesung fuhr – die Geschichte könnte so von Harbach stammen. Ausser, dass mich mit der Freundin tatsächlich nichts als Freundschaft verbindet.)

So stieg ich denn am späten Nachmittag oder frühen Abend – um diese Jahreszeit ist man da nie so ganz sicher – in die S-Bahn, die mich zum Hauptbahnhof bringen sollte. Es stiegen ausser mir auch ein paar Fans einer lokalen Eishockey-Mannschaft zu; offenbar sollte hier demnächst ein Meisterschaftsspiel stattfinden. In den folgenden Stationen wurden es noch ein paar Fans mehr, aber es stiegen dann alle vor dem Hauptbahnhof aus. Das Spiel fand demnach in der peripheren Provinz statt. Das alles passte natürlich ausgezeichnet zum Ziel meiner Reise. Chad Harbach – ich hatte mich via Google schlau gemacht und war auch dabei, das Buch zu lesen – Chad Harbach also beschreibt in seinem Buch Die Kunst des Endspiels die Conditio Humana einer ziemlich schlechten Sportmannschaft aus der Provinz des US-amerikanischen Mittleren Westens.

Am Ziel angekommen, brachte mich dann ein 10-minütiger Spaziergang den lokalen Fluss hoch zum Ziel meiner Reise: dem „Kaufleuten“. Zur Zeit eigentlich ein bei den Teenies angesagter Club (zu meiner Zeit trafen sich dort die Banker mit ihren Koks-Dealern, wenn ich mich recht erinnere), aber es finden in den Nebenräumlichkeiten auch ernsthaftere Veranstaltungen statt: Konzerte, die nicht den Main-Stream bedienen oder eben auch literarische Lesungen. Immer so ausgewählt, dass von der Randgruppe wieder eine grössere Hauptgruppe bedient wird. Was ja per se nichts Böses ist.

Ich also ‚rein, für Fr. 7.50 ein Bierchen geschnappt und mir den besten Platz ausgesucht. Fotografieren im ziemlich dunklen Saal lag mit meinem Handy nicht drin, also würde ich mir mein Buch signieren lassen müssen, damit man mir zu Hause den Besuch der Lesung glaubte… Der Saal begann sich langsam zu füllen. Gut, er war ziemlich klein, es mochten zum Schluss alles in allem etwa 100 Leute anwesend sein. Das Publikum war bunt gemischt, leichter Überhang an Frauen, leichter Überhang an älteren Semestern. Tendenziell, wie zu erwarten, recht viele recht gut erhaltene Mitt-Fünfzigerinnen (Typ „Jute statt Plastik“, wie wir hierzulande spöttisch zu sagen pflegen, sprich: alternativ und öko angehaucht). Zu meinem Erstaunen aber wenige vom Typ Gymnasiallehrer-wird-Literaturkritiker, der Typ mit Turnschuhen und Jeans, aber Hemd und Jackett (meist, o Graus, noch mit Kaschmir-Pullover dazwischen) – die Uniform des Intellektuellen eben. (Die übrigens dann auch der Autor trug.) Ebenfalls recht wenige schwule oder lesbische Pärchen, alles in allem vielleicht eine Handvoll. Und dies, obwohl Homosexualität ein wichtiges Thema in Harbachs Roman ist. Vor mir ein (heterosexuelles!) Pärchen, Mitte 40, so weit sich das in der Dunkelheit des Saals bestimmen liess, das sich je ein Glas Rotwein besorgt hatte und nun – mehr liegend als sitzend – den Abend damit verbrachte, mit Händen und Fingern taktile Zärtlichkeiten und mit dem Mund Körperflüssigkeit auszutauschen. Eigentlich finde ich ja, dass es Orte gibt, wo so etwas bequemer stattfinden kann, aber für mich hatte es den Vorteil, dass sich die beiden in der Richtung aus meinem Gesichtsfeld weg hinlegten und mir so die Sicht auf die Bühne nicht versperrten.

Dort standen ein Lesepult mit Stuhl, ein niedriges Tischchen mit zwei weiteren Stühlen. Auf dem Tischchen die obligatorischen Wasserkaraffen und -gläser. Alles auf Louis-irgendwas getrimmt, aber im Scheinwerferlicht wie die billige Imitation wirkend, die das Zeug wahrscheinlich war. Punkt 20.00 Uhr betrat der Conferencier, ein junger, bärtiger Mann, der sich leider nicht vorstellte, jedenfalls nicht so, dass ich es verstanden hätte, diese Bühne und nach ein paar einführenden Worten auch der Schauspieler, der die deutschen Texte lesen sollte („Sebastian“…), und der Autor persönlich. Nach 20 Sekunden war klar, dass der Abend auf Englisch vor sich gehen sollte, eine Person verliess den Raum.

Harbach war ganz offensichtlich nervös, die ganze Zeit rutschte er auf seinem Stuhl hin und her, seine Antworten waren mit Ähs und Ohs und Öhs gefüllt. Auch pausierte er beim Reden des öfteren um nachzudenken. Vielleicht lag es an den Fragen des Moderators, denn es waren nicht Fragen danach, um welche Uhrzeit sich denn Chad jeweils erhoben habe, um zu schreiben oder ob und wann er selber Baseball gespielt habe. Es waren Fragen nach dem schriftstellerischen Selbstverständnis Chads, nach der Art und Weise seiner eventuellen Abhängigkeit von literarischen Vorbildern. Für einen Autor also recht intime Fragen. Ich vergass das knutschende Pärchen vor mir ganz und die billigen Möbel, auf denen die drei da oben hockten, fast ganz. Es war äusserst interessant zu hören, wie das Spannungsfeld zwischen der sog. „American Renaissance“ (mit Autoren wie Emerson, Melville, Thoreau – aber auch Whitman) und der Postmoderne mit Don DeLillo und David Foster Wallace nicht nur den Roman sondern auch den Autor geprägt haben, und wie er offenbar einige Zeit brauchte, bis er sich vom Einfluss v.a. Wallace‘ frei geschrieben hatte.

Dazwischen wurde aus dem Buch gelesen, meist aus der deutschen Fassung. Der Autor selber las nur einmal, und das war insofern gut, als dass er zwar ein guter Autor sein mag, aber als Vorleser höchstens passabel. Das Genuschel des US-amerikanischen Mittelwestens ist dem Fremdsprachigen nicht immer verständlich.

So vergingen die anderthalb Stunden wie im Flug. (Ich weiss: ein zu oft benutzter Gemeinplatz.) Während ich vor dem Saal auf den Autor wartete, zwecks Signierung meines Buchs, genehmigte ich mir für Fr. 6.50 noch ein Käsesandwich von der Bar. Es war zwar ziemlich klein, so dass ich pro Bissen wohl mehr als 50 Rappen bezahlt habe, aber es schmeckte ausgezeichnet. Der Autor wirkte auch beim Signieren sehr sympathisch, und so verliess ich das Lokal als einer, der einen befriedigenden Abend dort verbracht hatte.

Auf der Nachhausefahrt dann das typische Samstagnacht-Publikum im öffentlichen Verkehr: laute Jugend, die von Party zu Party eiert, sofern sie zwischendurch nicht auch mal einfach nur reihert. Aber das konnte mich nicht gross stören. Zu Hause zeigte ich mein Beweisstück, schenkte mir à la Affenlight (einer Hauptfigur im Roman Die Kunst des Feldspiels) noch einen Scotch ein und ging zufrieden zu Bett. (Nur eine Bitte hätte ich noch, Herr Harbach: Wenn Sie das nächste Mal auf einer Bühne sind, schlagen Sie entweder im Sitzen nicht die Beine übereinander, so dass man Ihre Socken sieht – oder verzichten Sie um Himmels Willen auf solche Socken in Grau mit riesigen Punkten in Gelb, Lila und weiss der Henker was für merkwürdigen Farben noch … – Nix für Ungut!)

 

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