Richard Francis Burton (1821-1890) war in der Realität vieles von dem, was Karl May zu sein sich nur erträumen konnte. Burton war tatsächlich ein Sprachentalent und hatte mehrere vorderorientalische Sprachen gelernt, Indien, Ägypten, Arabien und Brasilien bereist und nach den Quellen des Nils gesucht. Kara Ben Nemsi verwendete aus Reiseführern und Lexika abgeschriebene Phrasen. Während aber Karl Mays imaginärer Weltenbummler Kara Ben Nemsi ein armer Schriftsteller war, der seine Reisen zu eigenen Bildung und nur aus Neugier unternahm, lagen die Dinge beim Original ein bisschen anders. Burton lebte 7 Jahre lang als Offizier der Britischen Ostindien-Kompanie in Indien. Eigensinnig und unorthodox, wie er war, machte er sich wenig Freunde unter seinen Offiziers-Kollegen; dass er mehr Interesse an Sprache und Kultur der Kolonialisierten zeigte als am Offiziers-Kasino, trug so wenig zu seiner Beliebtheit bei wie die Tatsache, dass er als eine Art Spion in eigenen Reihen einen unter den Offizieren florierenden Besuch bei minderjährigen Bordell-Knaben aufdeckte.
Burton liess sich danach aus gesundheitlichen Gründen beurlauben, kehrte nach Europa zurück, tauchte dann aber plötzlich in Ägypten auf. Dann verschwand der Engländer Burton von der Bildfläche und an seiner Stelle tauchte ein Muslim auf, ein Paschtune aus der Region des heutigen Grenzgebiets zwischen Afghanistan, Iran und Pakistan. Solche Leute waren damals in Ägypten und Arabien selten, und Burton konnte so eventuelle Unkenntnisse und Lapsus in arabischer Sprache und muslimischen Sitten auf diese imaginäre Herkunft schieben. Denn ihm schwebte nun nicht Geringeres vor, als die Nicht-Muslimen verbotenen Städte Mekka und Medina zu besuchen. Seine Verkleidung überzeugte. (Ob er sich, um sie perfekt zu machen, auch beschneiden liess, ist bis heute strittig, indem auch Burton selber sich nicht darüber ausliess. Immerhin wäre das Risiko, beim Pinkeln mit Vorhaut erwischt zu werden, nicht unbeträchtlich gewesen, was für eine Beschneidung spricht.) 1855/56 veröffentlichte er den Bericht zu seiner Reise. Unter strenggläubigen Christen und Muslimen folgte der Veröffentlichung ein kleiner Skandal. Die Politiker, besonders in Ägypten und Arabien, waren nicht minder skandalisiert, wohl weniger aus religiösen Motiven: Sie glaubten nicht an ein privates Motiv der Pilgerfahrt, sondern vermuteten in Burton einen politischen Spion in britischer Mission.
Burtons Reisebericht beschönigt nichts. Er beschreibt nicht nur, wie er seine Sextanten, die er zu exakten Bestimmung von Länge und Breite der beiden heiligen Städte des Islam mitschleppte, zu guter Letzt im Futteral lassen musste, weil er beim Hantieren damit Aufsehen erregte und schon erste Anzeichen eines fanatisierten Mob verspürte. Bei allem Interesse an und Verständnis für eine fremde Kultur, befremdet ihn nicht nur das merkwürdige Werfen mit Steinen nach dem Teufel, das Teil der rituellen Pilgerschaft bildet. Er verspürt durchaus so etwas wie Angst, wenn räuberische Beduinen die fromme Karawane zu überfallen drohen. Er stört sich am bereits damals zu einem eigenen, riesigen Wirtschaftszweig angewachsenen Rummel, an den zum Teil katastrophalen hygienischen Verhältnissen in und um Mekka und Medina. Keine romantische Verklärung, sondern eine ziemlich sachliche Beschreibung eines im übrigen keineswegs vorurteilsfreien Menschen. So ist es kein Wunder, dass dieser Reisebericht seither immer wieder neu aufgelegt wurde.
Dem Stubenhocker Karl May blieb nur die papierne Imitation mittels seines Kara Ben Nemsi. Und so ist im deutschen Sprachraum Burton in Erinnerung geblieben als erster Christ, der die muslimischen Pilgerfahrten nicht nur mitmachte (da gab es schon welche vor ihm), sondern auch die Ereignisse beschrieb, und somit Kara Ben Nemsis Abenteuer vor-lebte, Karl May inspirierte. Doch in noch etwas unterscheidet sich der ältere Brite vom jüngeren Sachsen: in seiner Offenheit und Aufgeschlossenheit der Sexualität gegenüber. Das zeigte sich auch in seinem Werk: Daher ist im englischen Sprachraum Burton weniger der, der nach Mekka und Medina gereist ist, weniger der streitsüchtige Konsul in Damaskus, als vielmehr der, der als erster das Kama-Sutra und die Geschichten aus 1001 Nacht ins Englische übertragen hat. (Er hat noch mehr übersetzt, z.B. auch Camões‘ Lusiaden, das portugiesische Nationalepos. Doch wie die Menschheit halt so ist: Das Skandalträchtige bleibt besser in ihrem Gedächtnis haften …)
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