Molière: Amphitryon

Eine Frau (links) und ein Mann mit Bart (rechts) in antikisierenden Gewändern schicken sich an zu einem Kuss. Im von mir gewählten Bildausschnitt sieht man nur die Köpfe. Detail aus dem Gemälde "Jupiter and Juno on Mount Ida" (1804/05) von James Barry (1741-1806); das Gemälde wurde als Titelbild meiner Ausgabe verwendet.

Amphitryon ist in Frankreich eine der weniger bekannten Komödien Molières. Das liegt daran, dass hier der Autor eine völlig andere Form der Komödie verwendet hat als in seinen bekannten Stücken. Während er sonst die Typenkomödie bevorzugt (bei L’Avare / Der Geizige zum Beispiel ist das schon im Titel erkenntlich), handelt es sich bei Amphitryon um eine Verwechslungskomödie. Und während Molières Stücke sonst in seiner (Molières) Gegenwart angesiedelt sind, finden wir uns hier in der mythologischen griechischen Antike wieder. Last but not least sehen bzw. hören wir das in den anderen Komödien streng durchgehaltene Versmaß hier immer wieder verändert, was dazu beiträgt, dass das Stück rasch und lebendig wirkt. Im deutschen Sprachraum ist Molières Amphitryon vielleicht bekannter als im französischen, was daran liegt, dass hier mit Heinrich von Kleist ein weiterer genialer Dramatiker nicht nur auf die gemeinsame Quelle Plautus sondern eben auch auf Molière zurückgriff und ebenfalls eine Komödie mit dem Titel Amphitryon verfasste.

Inhaltlich folgt Molière seinem Vorgänger Plautus so ziemlich. Einzig das Vorspiel ändert er völlig. Wo Plautus den Darsteller des Sosias über die prekäre Situation des Schauspielers sprechen lässt (die damals allesamt Sklaven waren und die man bei schlechter Leistung entsprechend grausam bestrafte), setzt Molière den Gott Merkur auf einer Straße hin, der auf die Göttin Nacht wartet. Er soll ihr von Jupiter ausrichten, sie solle es dieses Mal sehr gemächlich mit ihrer Reise um die Erde angehen lassen. Jupiter nämlich will Alkmene verführen und das Stelldichein möglichst lange auskosten. Die Situation des Prologs ist an sich nicht neu; Molière hat eine ähnliche Geschichte bei Lukian gefunden. Aber die Art, wie er den Prolog gestaltet, führt zu einer größeren Kohärenz mit dem Rest des Stücks, während Plautus in seinem Prolog bewusst die Diskrepanz, den Unterschied zwischen Theater und Realität thematisiert hat.

Ansonsten sind es vor allem Kleinigkeiten, die das Stück zu einem Schmankerl machen. Wie sich Merkur bei der Nacht über die Launen und ewig wechselnden Liebschaften des Jupiter beklagt, ist lesens- bzw. hörenswert. Wie sich Jupiter über die Mühsal beklagt, menschliche Gestalt annehmen zu müssen, wäre sogar theologisch brisant gewesen zu Molières Zeit, wenn man diese Schilderung der Menschwerdung (eines) Gottes entsprechend eingeordnet hätte. Wie Jupiter, bereits in der Gestalt Amphitryons, versucht, gegenüber Alkmene einen Unterschied zwischen Gatten und Liebhaber festzusetzen (worauf Alkmene mit Unverständnis reagiert – für sie gibt es nur Amphitryon, der für sie immer nur beides zusammen sein kann), ist nicht nur eine bis heute psychologisch interessante Kombination, sondern wurde auch als Anspielung auf Louis XIV gesehen, der zur Zeit der Abfassung des Stücks gerade dabei war, seine Maitresse zu wechseln und sich als neue Geliebte eine verheiratete Frau ausgesucht hatte. (Allerdings wird diese Interpretation erst im 19. Jahrhundert laut; Molières Zeitgenossen scheinen nichts davon bemerkt zu haben, was in einem absolutistischen Regime, wo jeder und jede gewohnt war, auf kleine Anspielungen zu achten, doch eher dafür spricht, dass diese Anspielung entweder viel zu gut versteckt war oder halt eben doch nicht existierte.)

Im Übrigen lässt Molière, anders als Plautus, die göttlichen Doppelgänger von Amphitryon und Sosias durchaus gemeinsam auf der Bühne stehen, was die Möglichkeiten zur Komik mehr als nur verdoppelt. Aber während Amphitryon ähnlich verständnislos reagiert wie Alkmene und in seinem göttlichen Doppelgänger vor allem einen Usurpator sieht, der so schnell wie möglich abgeschafft gehört, und, als seine Generäle ebenso verwirrt reagieren wie Sosias, der sogar im göttlichen Doppelgänger den wahren Amphitryon wahrzunehmen glaubt (weil der gnädiger, menschlicher(!), reagiert als der eigentliche Amphitryon) – während Amphitryon also nachgerade den Boden unter den Füßen verliert und nicht mehr weiß, wie es weitergehen soll (worauf dann Jupiter die Komödie auflöst für ihn), ist Sosias in dieser Situation (ähnlich wie auch der Sosias des Plautus) bedeutend gewandter. Zwar versucht sein göttlicher Doppelgänger ihm mit einer tüchtigen Tracht Prügel auszutreiben, dass er (Sosias) sich für Sosias halte, und verbietet ihm, auch nur zu denken, er (Sosias) sei Sosias, aber Sosias gibt nur kurzfristig der Gewalt nach und bleibt langfristig (zum Beispiel als er Amphitryon schildert, wie er zu Hause empfangen wurde) doch dabei, Sosias zu sein. Er wird so zu einem Paradebeispiel, wie die von Descartes gerade erst eingeführte Gleichung ‚cogito ergo sum‘, ‚ich denke also bin ich‘ auch im Wesen des Menschen verankert ist. Das einzige Zugeständnis das Sosias an seinen göttlichen Doppelgänger macht, ist, dass er gegenüber Amphitryon auch von den Handlungen des göttlichen Sosias in der Ich-Form spricht. (Übrigens ist im Französischen – so viel Einfluss hatte Molières Stück dann doch – der Eigenname ‚Sosias‘ (Sosie) zur Bezeichnung für ‚Doppelgänger‘ geworden.)

Wie Sosias bei den Menschen, ist auch Merkur bei den Göttern die bedeutend interessantere Gestalt als sein Herr, Jupiter. Er ist die Karikatur des Höflings der Zeit des Sonnenkönigs: Gegenüber Gleichrangigen maulend und sich beklagend, nach oben schweigsam und gehorsam, nach unten (also gegenüber Sosias aber sogar gegenüber Amphitryon) frech, ja brutal. Er ist so die vielleicht aktuellste Figur des Stücks – der klassische Radfahrer-Vertreter des mittleren Managements: nach oben buckelnd, nach unten tretend.)

Eine durchaus vollwertige Komödie also, auch wenn die Franzosen sie ein wenig vernachlässigen.

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