Christoph Martin Wielands sämmtliche Werke. Neunter Band

Dieser Band erschien 1795 und enthält Gedichte und verschiedene kleinere Verserzählungen Wielands:

  • Musarion
  • Aspasia
  • Gedichte an Olympia
  • Die erste Liebe
  • Der Mönch und die Nonne
  • Das Leben ein Traum
  • Bruchstücke von Psyche

Mit

Musarion

steht die wohl bekannteste der kurzen Verserzählungen Wielands gleich zu Beginn.

Schon in den ersten Versen lernen wir Fanias kennen. Früher ein Schönling und (wie wir heute sagen würden) „Womanizer“, hat sich der junge Mann vor kurzem in die Wildnis zurückgezogen, um ein Leben als Cyniker zu führen: Ungepflegt, unrasiert, ungewaschen, schlecht gekleidet. Schon mit den ersten Versen gibt ihn Wieland dem Spott des Lesers preis, einem sanften Spott allerdings, denn Fanias‘ Bemühen hat doch viel Ernsthaftes und Redliches an sich:

Die Wahrheit, die sich sonst nie ohne Schleier weist,
(Nie, oder Götter nur) entkleidet überraschen,
Der Schöpfung Grundriß übersehn,
Der Sfären mistischen verworrnen Tanz verstehn,
Vermuthungen auf stolze Schlüsse häufen,
Und bis ins Reich der reinen Geister streifen:
Wie glorreich! Welche Lust!

(Es fällt sofort auf, dass Wieland die abstrakte Erkenntnis alles andere als abstrakt schildert. Wie für Schiller in seiner Ballade, wird auch für Wieland die verschleierte Natur zur verschleierten Wahrheit. Der Schleier der Göttin zu Sais ist für Wieland dann aber ein recht konkretes Kleidungsstück; der junge Mann Fanias möchte die Wahrheit – wie eine schöne Frau – entkleidet überraschen. Welche Lust!)

Diese Bresche in Fanias‘ cynischem Panzer wird von Amor sofort erspäht. Musarion tritt auf den Schauplatz. Nach einem vergeblichen Versuch, ihr zu entfliehen, lädt sie der junge Mann sogar zu sich in seine Hütte ein. Er warnt sie, dass er weitere Gäste habe: Kleanth, den Stoiker, und Theofron, den Pythagoräer. Wie Musarion und Fanias allerdings zur Hütte kommen, sind die beiden in alles andere als eine philosophische Tätigkeit verwickelt: Sie raufen gerade, tragen ihre philosophische Meinungsverschiedenheit sehr körperlich aus. Erst der Anblick der jungen, hübschen Musarion lässt sie innehalten.

Man beschliesst, gemeinsam zu Abend zu essen. Es kommt, wie es kommen muss: Die beiden „Philosophen“ entgleisen komplett. Der Pythagoräer Theofron, der eigentlich rein geistigen Zielen folgen sollte, buhlt um die kokette Bedienstete Musarions; der Stoiker Kleanth erweist sich allem andern als der Ataraxie (Wieland spricht von Apathie) verpflichtet und trinkt sich einen gewaltigen Rausch an.

Die kleine Verserzählung endet damit, dass Musarion und Fanias ein Paar werden. Sie leben, nur ihrer Liebe verpflichtet, ein zurückgezogenes Leben auf dem Land. Die beiden Philosophen aber – wurden zum Teufel gejagt.

Aspasia

Aspasia war bekanntlich die erste Frau, die ernsthaft philosophierte. Wieland – bei aller Aufklärung, die er besitzt – kann das allerdings nicht ganz so ernst nehmen:

Die gute Frau befand
Nur darum sich so wohl im Lande der Ideen,
Weil alles dort dem schönen Feenland,
Worin von Jugend an sie gern zu irren pflegte,
Dem Land der Fantasie, so wunderähnlich sah.

Die Frau, die Philosophin, als grosses Kind: heutzutage würde so eine Aussage wohl kaum unwidersprochen durchgehen 🙂 .  Einmal mehr kommt es, wie es kommen muss: Beim nächtlichen Lustwandeln (sie nennt es Philosophieren) trifft sie auf einen andern Philosophen, die beiden verlieben sich und … äh … ja. Beschämt trennen sie sich für immer.

Ironische Schlussempfehlung Wielands an den Leser: Wenn du philosophieren willst – tu es allein!

Olympia

enthält Gedichte aus den 70er und 80er Jahren. Antikisierend, anakreontisierend – nichts Spezielles.

Die erste Liebe

ist wieder eine Verserzählung. Oder ein Liebesgedicht? Eine kleine, nette Spielerei jedenfalls – nicht mehr.

Sixt und Klärchen. Oder: Der Mönch und die Nonne auf dem Mädelstein. Ein Gedicht in zwey Gesängen. 1775

So lautet der vollständige Titel der kleinen Verserzählung. „Gedicht“ hier im alten Sinn genommen: etwas Erdichtetes, Erfundenes. Denn Lyrik ist es nicht. Wieland legt im Vorbericht Wert darauf, dass es den Mädelstein tatsächlich als kleinen Berg in der Nähe von Eisenach gebe.

Sixt, der Mönch, und Klärchen, die Nonne, verlieben sich in einander. Nach längerem Hin und Her beschliessen sie, ihren Klostern zu entfliehen. Sie treffen sich auf besagtem Berg und – ist es Strafe oder höchste Belohnung?

Verlangt nicht daß ich ihr Entzücken
Beschreiben soll. Natur, Natur,
Du bist mir heilig! Wer’s erfuhr
Schwatzt nicht von solchen Augenblicken.
Ich seh‘, ich seh‘ sie, Brust an Brust,
Entseelt von grenzenloser Lust
Die Augen starr gen Himmel heben;
Er hat sich aufgetan – sie schweben
In seinem Wonneglanz daher,
Nichts Sterblichs ist an ihnen mehr,
Sie schweben auf – ins ew’ge Leben!

Man fühlt sich sofort daran erinnert, dass im Französischen der Orgasmus „la petite mort“ genannt wird…

Das Leben ein Traum

Gedankenlyrik? Wieland schildert anhand verschiedener realer und erfundener Gestalten, wie für die Menschen nicht die nackte Existenz zählt, sondern der Traum, das Ideal, auf das hin zu man lebt.

Bruchstücke von Psyche. Einem unvollendet gebliebenen allegorischen Gedichte. 1767

Ein recht früher Wieland also. Eigentlich eine kleine Kollektion kleinerer, unvollendet gebliebener Gedichte / Verserzählungen. Mehr oder minder anakreontisch angehauchte Hymnen an Amor.

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Im neunten Band seiner Werkausgabe erleben wir Wieland einmal mehr in seiner einzigartigen Mischung von Anakreontik und Aufklärung – letztere in dem Sinne, dass er ein Übermass an Philosophie genau so wenig empfohlen wissen will, wie ein Übermass an plattem Genuss physischer Wohltaten. Das Ganze, wie immer bei Wieland, hinter einer musikalisch leicht von Stock zu Stein hüpfenden Sprache versteckt.

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