Der Beiband zu Ferdinand Benekes Tagebüchern unterscheidet sich schon optisch von den eigentlichen Tagebüchern: Broschur statt Leinen und weisser Buchrücken statt roter. Dieser Beiband ist mehr als das übliche Personenverzeichnis (hat es auch) oder gar die übliche Auflösung von rätselhaften Stellen und idiosynkratischen Abkürzungen (hat es auch). Dieser Beiband ist in Tat und Wahrheit ein ganzer Theorie- und Geschichtsband, der vieles berührt und in vielem weit über Beneke hinausgeht.
Gerade der erste Abschnitt, Tagebücher und Korrespondenzen, liefert einen (zeitlich wie inhaltlich) weit über Beneke hinausreichenden Beitrag zur Literatursorte bzw. Diskursform „Tagebuch“. Die geschichtliche Entwicklung des Tagebuchs, von einer Form der Selbstkontrolle, in der aufklärerischen Pädagogik ausdrücklich empfohlen für Kinder, bis hin zum Tagebuch, das in Hinsicht auf einen späteren, postumen Ruhm geschrieben wird und oft dann selbstreflektierend und/oder mit einem (imaginierten) Publikum kokettierend erscheint (was Virginia Woolf als Kritikerin wie als Tagebuchschreiberin so schön exemplifiziert) – hier wird alles, sehr kurz, aber präzise und interessant, dargestellt. Dass das „Tagebuch“ als Selbsterfahrungsform nicht erst eine Erfindung des Pietismus ist: eine Erkenntnis, die ‚zu meiner Zeit‘ an den germanistischen Instituten noch nicht verbreitet war.
Es folgt – so widersprüchlich das scheinen mag – die Biografie Benekes, die dem Tagebuch-Leser den roten Faden in die Hand geben will, anhand dessen er sich durchs Labyrinth täglicher Einträge finden soll. Hier hätte ich ein tieferes Eingehen gewünscht auch auf die literarischen Einflüsse, denen Beneke unterlag. Jean Paul wird zwar erwähnt, sogar erwähnt, dass Jean Pauls Einfluss eine Zeitlang bis in den Stil der Tagebuch-Einträge zu verfolgen ist – mehr leider nicht.
Von der Theorie des Tagebuchs als Mittel der Kindererziehung einer- und Benekes Kindheit und Jugend andererseits ist es ein Katzensprung in eine Theorie der Pädagogik jener Zeit. Bildung in einer im Umbruch befindlichen Gesellschaft ist ein interessantes Thema – Bildung (also vor allem sein Doktor der Rechte) hat ja Beneke trotz fehlender finanzieller Mittel den Einstieg ins Hamburger Bürgertum überhaupt erst erlaubt. Auch hier weiss ich nicht, warum Jean Paul, der ja ein grosser Bildungstheoretiker war, mit keinem Wort erwähnt wird. Bei der Wichtigkeit, die Jean Paul ansonsten für Beneke hatte, müsste m.M.n. zumindest erklärt werden, warum er als Pädagoge weggelassen wird – zumal ähnliche Theorien wie die Jean Pauls (Levana erschien zwar erst 1807 – aber dennoch) durchaus Eingang in diesen Abschnitt gefunden haben. Vielleicht, weil es nie Jean-Paul-Schulen gegeben hat?
Das nächste Kapitel gilt dem (wie wir heute sagen würden) Netzwerker Beneke. Hier werden zwanglos die Familien-Genealogien eingebaut, um die Wichtigkeit auch der Familien-Verhältnisse aufzuzeigen, um aufzuzeigen, dass Beneke eigentlich familiär in den Hansestädten Bremen und Hamburg gut vernetzt gewesen wäre. Er verzichtete allerdings gerade auf dieses Netzwerk freiwillig.
Zuletzt unter dem Titel Revolutionen und Republiken ein historischer Teil. Hier wurde meines Erachtens des Guten zu viel getan, indem eine sehr detaillierte Geschichte der Französischen Revolution eingebaut wurde, ohne dass dem Leser (mir!) einleuchtet, was von dieser Detailfülle nun für Beneke oder für Hamburg und die übrigen Hanse-Städte von Wichtigkeit gewesen wäre. Erst nach und nach wird auf Hamburg und Benekes erste Schritte in der Politik Hamburgs eingegangen, auch die Zeitschrift Hanseatisches Magazin, für die Beneke schrieb, ausführlich gewürdigt. Der Gefahr, mit der Lokal-Geschichte auch Lokal-Patriotismus zu treiben, konnten die Herausgeber m.M.n. allerdings nicht entgehen, bei dem Thema wohl zwangsläufig nicht.
Alle Beiträge gehen auch zeitlich immer mal wieder über die eigentliche Epoche der in der ersten Lieferung herausgegebenen Tagebücher von 1792 bis 1801 hinaus. Das ist unumgänglich und stört höchstens den, der die Tagebücher als Roman lesen will. Die abschliessenden editorischen Teile und das Register brauche ich wohl nicht zu nennen, die verstehen sich bei einer derart ausgefeilten Ausgabe wie der vorliegenden von selbst.
Ein Band also, der Benekes Tagebuch-Einträge in vielem gut ergänzt, in vielem aber auch unabhängig davon gelesen werden kann. So ein Spagat ist nicht einfach, hier aber im Grossen und Ganzen nicht übel gelungen.
Dann freuen wir uns mal auf die nächste Lieferung.
1 Reply to “Begleitband I zu den Beneke-Tagebüchern: »Bürger und Revolutionen«”