Nagels „Grenzen der Objektivität“ und die Frage nach Ethik und Moral

Thomas Nagel war einer der maßgebenden Philosophen für die „Wiederentdeckung“ der Qualia, für jene, nur dem Subjekt zugängigen Bewusstseinseindrücke, die ganz offenbar einem Gegenüber nicht stimmig vermittelt werden können. Eingebettet ist dieses Konzept ist eine Subjekt-Objekt-Dichotomie, ein Empfindungsrahmen, der von extremem Subjektivismus bis zu äußerstem Objektivismus reicht. Dieser wird in den Naturwissenschaften realisiert (bzw. es wird der Versuch unternommen, eine solche völlig standpunktfreie Beschreibung ins Werk zu setzen), jener gipfelt im Solipsismus oder einem Idealismus Berkeleyscher Prägung. In diesem Rahmen bewegen sich unsere epistemischen Bemühungen: Und wir sind offenbar die einzige Spezies dieses Planeten, die über das Subjekt – als auch über seine Gattung hinaus – einen „externen“ Standpunkt einzunehmen vermag.Nagel weist aber darauf hin, dass selbst bei einer ideal gedachten objektiven Beschreibung einiges an der Wirklichkeit nicht beschrieben werden kann: Nämlich jene subjektiven Empfindungen, welche für unser Menschsein zu einem Gutteil konstituierend sein. Somit wird die objektive Sichtweise einer umfassend die Wirklichkeit beschreibenden Methode zu einer Aporie: Entweder wir gestehen dem Subjektiven keine Realität zu oder aber wir müssen zugeben, dass eine objektive Beschreibung unserer Realität niemals die gesamte Realität umfassen kann. Aus diesen Überlegungen ergeben sich verschiedene Problemkreise (das des „Selbst“ oder des Fremdpsychischen), besonderes Anliegen aber ist Nagel die Konzeption einer der Objektivität sich annähernden Ethik.

Denn er hält unsere objektivierende Perspektive (wenngleich immer unvollkommen) für eine Möglichkeit, sich dem Problem der Ethik von dieser Seite zu nähern. Indem er relative (persönliche) und neutrale (für die „Gesamtheit“ der Welt maßgebliche) Gründe für das Handeln unterscheidet und in diesem Zusammenhang auch eine deontologische Moral (diese ist zwar persönlich, richtet sich in ihrem Handeln aber an das Gegenüber, wobei man also vom üblichen Wortgebrauch einer „Pflichtethik“ ein wenig absehen muss) für das Handeln annimmt. Alle diese Versuche detaillierter Begriffsbestimmungen bleiben aber höchst theoretisch, sie scheinen weder zwingende Kategorien darzustellen noch das moralische Spektrum wirklich abzudecken. Sodass man schließlich deontologische und neutrale Gründe (nach Nagel) nur noch schwer zu unterscheiden vermag und bestenfalls der Ansatz einer konventionalistischen Auffassung übrig bleibt, eine Auffassung, von der man in moraltheoretischen Diskussionen offenbar nie ganz absehen kann.

Denn – wie in der Erkenntnistheorie – sind auch in der Moralphilosophie „letztbegründende“ Ansätze zum Scheitern verurteilt. Nagel erkennt die einander „feindlich“ gegenüberstehenden subjektiven und objektiven Standpunkte, ihre Lösung aber kann immer nur relativistischer Natur sein. Ethische Diskussionen sind nur auf dem Hintergrund übereinstimmender Moralsysteme möglich, erst durch Anerkennung eines solchen gemeinsamen Ansatzes kann argumentativ (und das bedeutet immer: Rational-deduktiv) die eine oder andere Position verfochten werden. Wenn etwa das Recht auf Leben oder auf Gleichheit von einer Partei bestritten wird (z. B. im Nationalsozialismus), so entsteht dadurch eine Kluft, die alle differenzierteren Lösungsansätze (bezüglich menschlichen Verhaltens) desavouiert: Mit jemanden, der dem Diskussionspartner sein Recht auf Leben abspricht, kann über das Leben nicht vernünftig diskutiert werden. (Wobei auch hier vielleicht noch Ausnahmen möglich sind: Ich müsste zeigen können, dass aus der Konzeption meines Gegenübers (sofern er ein solche hat) auch für ihn unannehmbare Konsequenzen resultieren. Hierfür muss aber ein Mindestmaß an Bereitschaft zum rationalen Diskurs vorhanden sein, ein Justamentstandpunkt ist selbstredend immer möglich – und auch nicht widerlegebar. Im übrigen ist dies in anderen „geisteswissenschaftlichen“ Bereichen sehr ähnlich, etwa in der Kunst: Nur wenn die Diskussionspartner einen bestimmten Rahmenbegriff der Ästhetik als für beide verbindlich erachten, kann eine vernünftige Diskussion stattfinden. Ist dieser Grundkonsens nicht gegeben, redet man aneinander vorbei.)

Wichtig erscheint mir in diesem Zusammehang die Tatsache, dass eine solche Auseinandersetzung immer nur mit rationalen Mitteln geführt werden kann. Der manchmal propagierte, emotionale Zugang ist für die Lösung von Problemen gänzlich ungeeignet, ob es sich nun um ethische oder etwa ökologische Probleme handelt. Immer geht es darum, Argumente auszutauschen, durch die Gesprächsführung zu beweisen, dass die Ansichten des anderen zu auch für ihn unannehmbaren Konsequenzen führt. Wer aus dem Bauch heraus zu diskutieren pflegt (und dann möglicherweise auch beim Partner auf einen solchen „Bauchredner“ trifft) wird vergebens auf die Lösung des in Frage stehenden Problems hoffen können. Voraussetzung – wie erwähnt – sind jene von beiden anerkannten Grundregeln: Nur wenn ich mich zu bestimmten Regularien bekenne, kann mir nachgewiesen werden, dass meine Lösungsvorschläge diesen Regularien zuwiderlaufen, dass – um es deutlicher zu formulieren – ich mir selbst widerspreche, indem ich die Verletzung des eigenen Standpunktes konstatieren muss. (Und wie hieraus ersichtlich ist auch eine Anerkennung von logischen Grundregeln unabdingbar: Wobei ohnehin auch jene, die die Logik abzulehnen vorgeben, zumeist rational zu argumentieren pflegen. Z. B. Feyerabend, Nietzsche …)

Deshalb ist es auch keine reine Formaliät, wenn Regime, Diktatoren auf eine bestimmte Charta verpflichtet werden: Sie müssen – ab dem Zeitpunkt der Anerkennung dieser Charta – auf der Grundlage dieser Bestimmungen argumentieren. Erst wenn ich jemanden zur Anerkennung der Menschenrechte gebracht habe, kann ich ihm eine Verletzung derselben vorwerfen; und der Betreffende muss seine Verteidigung – wie immer sie ausfallen wird – an diesen Prinzipien orientieren und zumindest so tun, als ob er sie nicht verletzt hätte. Das mag nun für’s erste wenig an Ungerechtigkeit oder Grausamkeit verhindern, es bildet aber einen ersten Schritt hin zur Verpflichtung auf anerkannte, „objektive“ Werte. Und es zwingt den Autokraten sich zu rechtfertigen: Allein aus der Tatsache, dass etwa die nordkoreanische Staatsführung niemals Menschrechtsverletzungen eingestehen würde, kann man ersehen, dass sie diese – zumindest in der Diskussion – für verbindlich erachten.

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