Gustav Mahler: Die 9. Symphonie

Neunte Symphonien stehen im mystischen Ruf, wider Willen des Komponisten die jeweils letzte vollendete zu werden. Tatsächlich wurde bereits von Beethoven und dann von manch anderem eine Zehnte oft gar nicht in Angriff genommen oder lag beim Tode des Verfassers nur unvollendet vor. Dieser wohl tatsächlich auf Beethoven zurückgehende Mystizismus wird auch von Mahler bestätigt: Seine neunte Symphonie ist seine letzte vollendete. An einer zehnten arbeitete er noch, als ihn der Tod ereilte. (Verschiedene Komponisten habe sich an einer Vollendung versucht; auch Hans Wollschläger zählt dazu – was darauf hinweist, in welche Richtung sich Mahler musikalisch entwickelt hatte.)

Die neunte gilt als Mahlers schwierigste – zum Verstehen wie zum Ausführen. Obwohl er sich in vielem wieder rückwärts wandte – er verwendete in der neunten, im Gegensatz zur achten, wieder die klassischen vier Sätze einer Symphonie zum Beispiel – war Mahler in dieser neunten kurz davor, die Spätromantik, zu der er gewöhnlich gezählt wird, hinter sich zu lassen und die Türen zur sog. ‘modernen Musik’ aufzustossen: atonale Musik, Zwöfltonmusik. Bei der Uraufführung in Wien 1911 stiess Mahlers letztes Werk beim Publikum grösstenteils auf Unverständnis. Mahler erlebte dies nicht mehr, er war in jenem Moment bereits tot.

Dabei fühlte sich Mahler wohl kaum als Neuerer. Er wollte die Mittel der ihm von Haydn, Mozart oder Beethoven zur Verfügung gestellten ‘klassischen’ Symphonie zu Ende denken und sich gleichzeitig von Richard Wagner abgrenzen. Heraus kam ein recht schwermütiges Werk, in dem die Themen ‘Abschied und Trauer’ immer und immer wieder variiert werden. Die Symphonie setzt sehr verhalten ein: Praktisch aus dem Nichts ersteht ein Cello-Ton, der von einer Harfe beantwortet wird. Das Motiv der Harfe zieht sich dann leitmotiv-artig durch den ganzen ersten Satz, wie überhaupt bei aller Abgrenzung von Wagner eine dem Leitmotiv verwandte Technik in Mahlers Neunten anzutreffen ist. Die Streicher übernehmen das ‘Leitmotiv’, während die zweite Geige und das Horn einen kontrapunktischen Dialog abhalten. Düstere Stimmung wie Musik steigern sich, obwohl das Horn immer wieder versucht, an das Anfangsmotiv anzuschliessen, bis die Musik praktisch zusammenbricht. Ein Neuanfang wird gemacht, und schliesslich führen Horn und Flöte zu einer Rückkehr des Anfangsmotivs. Erneut verschwindet dieses aber in einem Auflösungsprozess, in dem zum Schluss der erste Satz verklingt.

Mahler wird dann im weitern Verlauf des Symphonie auch ‘fremde’ Elemente einbauen: Ländler-Motive z.B. oder burleske Motive. Aber die Grundstimmung bleibt düster.

Ich habe die neunte Symphonie zuletzt in einer Aufführung eines zu diesem Zweck gebildeten Ad-hoc-Orchesters von Studenten der Jacobs School of Music gehört. Es ist bewundernswert, mit welchem Elan und mit welcher Präzision diese Studenten Mahlers Werk intonieren, auch wenn natürlich dem Dirigenten Brian Eads in weiten Teilen noch ein eigener Stil abgeht. Das muss allerdings auch nicht immer von Übel sein. Mahlers neunte Symphonie ist mir zugegebenermassen fremd (geworden); ich kann – quasi mit der Partitur in der Hand – Mahlers Ziele und Motive nachvollziehen, beim Hören im Konzertsaal erschlägt mich das Düstere seiner Motivik, und die Feinheiten seiner Komposition entgehen mir, weil meinem Ohr Schulung und Übung für diese Art Musik fehlen. Insofern kann ich Unverständnis, mit dem das Wiener Publikum bei der Uraufführung reagierte, durchaus nachvollziehen. – Dennoch: ein grossartiges Werk in einer gelungenen Aufführung.

PS. Mozart hat in seinem kurzen Leben rund 60 Symphonien geschrieben, Haydn (der zugegeben mehr Zeit hatte) deren mehr als 100…

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